Reflexe: Eigenreflex, Fremdreflex, pathologischer Reflex & Co.
Wenn Ihnen der Arzt in die Augen leuchtet oder sein Reflexhämmerchen einsetzt, hat diese an sich unangenehme Handlung das Ziel, Ihre Reflexe und damit den Zustand Ihrer Nervenfunktionen zu überprüfen, denn die Vielzahl der uns meist unbewussten Körperreaktionen zeigt genau, wie es um unsere Hirnleistung bestellt ist. Aber was genau ist ein Reflex? Wo ist der Unterschied zwischen Eigenreflex und Fremdreflex? Wie kann der Babinski-Reflex einen Schlaganfall anzeigen und was sind pathologische Reflexe? Das lesen Sie hier!
Was ist ein Reflex?
Ein Reflex ist eine automatische, unwillkürliche Reaktion eines Körperorgans auf einen Reiz. Diese Reaktion erfolgt unmittelbar auf den Reiz und ist reproduzierbar, anders als eine von uns bewusst gesteuerte Antwort.
Damit ein Reflex auftreten kann, muss der Körper in der Lage sein, Reize wahrzunehmen, sie mit seinen Nervenbahnen weiterzuleiten und zu verarbeiten und dann darauf in einer Form zu reagieren, die sein Überleben sichert. Ob wir plötzlich ein lautes Geräusch hören, uns etwas ins Auge fliegt oder wir mit dem Fuß in eine Glasscherbe treten, der Körper reagiert darauf mit einer schematischen Antwort, um den Gesamtorganismus zu schützen:
- beim lauten Geräusch mit einer Körperdrehung in Richtung Lärmursprung, aber insgesamt mit der Fluchtbewegung von der Geräuschquelle weg,
- bei der Reizung der Hornhaut mit dem Schließen der Augen und dem Wegdrehen des Kopfes,
- beim plötzlichen Schmerz in der Fußsohle mit dem Hochziehen des betroffenen Beines und einer Ausweichbewegung des Körpers weg von der Gefahr.
Gibt es verschiedene Reflexe?
Mediziner und Verhaltensbiologen unterscheiden Reflexe danach, ob sie angeboren oder erworben, also erlernbar sind, wie viele Nerven an der Reizweiterleitung beteiligt sind und ob die Körperreaktion vom Reizort ausgeht oder ein anderes Organ reagiert. Außerdem gibt es pathologische Reflexe, die nur bei bestimmten Erkrankungen des Nervensystems vorkommen, und primitive frühkindliche Reflexe, die sich im Laufe der ersten beiden Lebensjahre verlieren und den Entwicklungsstand des Kleinkindes anzeigen.
Um die vielen Reflexe auseinanderzuhalten, werden sie häufig nach ihrem Entdecker oder wie die diversen Muskeleigenreflexe nach ihrem Auslösungsort benannt – am bekanntesten ist der Patellarsehnenreflex, den Sie selbst bei sich auslösen können, in dem Sie die Sehne knapp unterhalb der Kniescheibe bei gebeugtem, herabhängenden Bein mit etwas Schwung beklopfen: Ihr Bein reagiert darauf mit einer Kontraktion des Oberschenkelmuskels, der den Unterschenkel nach vorne schwingt.
Schnelle Reaktion durch Eigenreflex
Ein Eigenreflex zeichnet sich dadurch aus, dass Reizort und antwortendes Organ identisch sind. Die meisten Eigenreflexe sind uns schützende Muskeldehnungsreflexe, bei denen die kurze Muskeldehnung - ob z.B. durch einen Reflexhammer oder ein plötzliches Einknicken des Kniegelenks hervorgerufen - zu einer Kontraktion und damit Zuckung des betroffenen Muskels führt. So verhindert der Patellarsehnenreflex (PSR) beim plötzlichen Einknicken des Knies das Hinfallen, da der Oberschenkelmuskel den Unterschenkel reflexartig nach vorne schnellen lässt und uns wieder ins Gleichgewicht bringt.
Mit den Muskeleigenreflexen kann die Funktion vieler Rückenmarksnerven überprüft werden, da die Nervenerregung vom Reizort bis ins Rückenmark gelangt und direkt wieder zurückgeleitet wird. Da im Rückenmark nur eine Umschaltung erfolgt, nennt man diese Reflexe monosynaptisch, sie heißen meist nach dem Muskel oder der Sehne, die geprüft wird: Wichtige Muskeleigenreflexe sind neben dem PSR am Bein der Achillessehnen- und Adduktorenreflex, am Arm der Bizeps- und Trizepsreflex und am Kiefer der Masseterreflex.
Daneben existieren viele andere, die bei einer ausführlichen neurologischen Untersuchung Aufschluss geben, ob eine Schädigung einzelner Nervenbahnen vorliegt (einzelne Reflexe nicht vorhanden) oder ob eine generelle Nervendysfunktion besteht (keine oder gesteigerte Reflexe vorhanden).
Reaktion auf Umwegen durch Fremdreflex
Bei dem komplexeren polysynaptischen Fremdreflex kommt es nach dem Reiz zu einer nervalen Umschaltung im Rückenmark und die Nervenerregung wird auf andere Organe umgeschaltet, die dann auf den Reiz reagieren.
Im klinischen Alltag wird gerade bei Verdacht auf eine Hirnschädigung der Pupillenreflex überprüft, der bei Lichteinfall ins Auge (Sehnerv wird gereizt) zu einer Verengung der Pupille führt (Pupillenfasern reagieren). Da die Reaktion der Pupillen im Gehirn miteinander gekoppelt ist, verengen sich normalerweise beide Pupillen, auch wenn nur ein Auge dem Lichteinfall ausgesetzt wird. Bei einer massiven Hirnschädigung und beim Hirntod ist dieser Reflex nicht mehr vorhanden.
Pathologischer Reflex: Babinski-Reflex bei massiven Hirnschädigungen
Pathologische Reflexe treten bei einer Nerven- oder Hirnschädigung auf. Der bekannteste pathologische Reflex ist der Babinski-Reflex, der beim Bestreichen der Fußsohle zur Streckung der Großzehe und Beugung aller anderen Zehen führt. Er gehört zu den frühkindlichen Reflexen und ist normalerweise nach dem 12. Lebensmonat nicht mehr auslösbar.
Bei massiven Hirnschädigungen, wie sie nach einer Hirnblutung oder einem Schlaganfall auftreten können, zeigt ein positiver Babinski-Reflex eine starke Großhirnschädigung an. Die Reflexantwort wird immer im Seitenvergleich – also an beiden Armen oder Beinen – bewertet: Eine unterschiedliche Reflexantwort, z.B. eine einseitige Abschwächung oder Reflexverstärkung, weist auf eine Nervenschädigung hin.
Muskelreflexe im Alter
Daneben kommt es mit fortschreitendem Alter oft zu einer Abschwächung vieler Reflexe, die dann aber beidseitig auftreten und sich nicht auf ein Organ oder einen Muskel beschränken.
Eine Steigerung hauptsächlich der Muskeleigenreflexe zeigt sich oft in gelähmten Muskeln nach einem Schlaganfall – die Extremform ist der so genannte Klonus, eine rhythmische unerschöpfbare Zuckung eines Muskels auf einen einzelnen Reiz. Der Klonus tritt bei einer Schädigung der aus dem Großhirn kommenden Nerven auf, die die Muskeln erregen.
Was sind frühkindliche Reflexe?
Frühkindliche Reflexe werden auch primitive Reflexe genannt und dienen Selbstschutz, Nahrungssuche und -aufnahme. Viele dieser Reflexe verlieren sich im Laufe der ersten beiden Lebensjahre und zeigen den Entwicklungsstand des Kleinkindes an.
Wichtige frühkindliche Reflexe sind der Suchreflex (bei Berühren eines Mundwinkels dreht der Säugling den Kopf in diese Richtung), der Moro-Umklammerungsreflex (bei plötzlichem Zurückfallen des Kopfes öffnet und schließt der Säugling seine Arme), der Hand- und Fußgreifreflex (Druck auf die Handinnenfläche löst eine Greifbewegung aus; Druck auf die Fußsohle eine Beugung der Zehen) und der Schreitreflex (Kontakt zu einer Unterlage führt zu Gehbewegungen).
Einige primitive Reflexe wie der Schluckreflex bleiben lebenslang erhalten – der Schluckreflex sorgt dafür, dass von uns aufgenommene Nahrung in die Speiseröhre und nicht in die Luftröhre gelangt. Daneben gibt es noch viele weitere frühkindliche Reflexe, die im Rahmen der U-1- bis U-9-Untersuchungen vom Kinderarzt geprüft werden, bei einer normalen Entwicklung nach einem gewissen Intervall verschwinden und bei deren Persistenz immer nach der neurologischen Ursache gefahndet werden muss.
Was ist ein bedingter oder konditionierter Reflex?
Von den zuvor genannten angeborenen Reaktionen werden reflexartige Körperreaktionen unterschieden, die erlernt oder anerzogen sind. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang sicher das Pawlowsche Hundeexperiment, mit dem nachgewiesen werden konnte, dass Hunde nach der Kopplung von Futter mit Glockenton auch auf den alleinigen Glockenklang mit einer Speichelproduktion reagierten.
Bei einem erworbenen Reflex wird also ein angeborener Reflex (Speichelfluss bei zu erwartender Nahrung) mit einem anderen Reiz (hier Glockenton) gekoppelt, bis eine Konditionierung erreicht ist, so dass der erste Reiz (Nahrung) entfallen kann. Dieser von uns nicht bewusst wahrgenommene Vorgang beeinflusst unsere Entwicklung von Verhaltensweisen, das Erlernen von Inhalten und auch die Anpassung an unsere Umwelt.
Therapeutisch wird die Kopplung im Bereich der Psychotherapie für eine Desensibilisierung genutzt, in dem eine wiederholte Paarung eines Angst auslösenden Reizes mit einer angenehmen Situation hergestellt wird: Die Verbindung von positiver Emotion mit dem negativen Reiz führt dazu, dass dieser allmählich seine Wirkung verliert.