Muskelschwund: Symptome, Therapie & Lebenserwartung
Zwischen 600 und 800 verschiedene Krankheiten gehören zu der großen Gruppe neuromuskulärer Erkrankungen, die mit Muskelschwund einhergehen, die zu leichtem Humpeln, aber auch Atemaussetzern führen können und für die es bisher keine Heilung gibt. Erfahren Sie hier mehr über verschiedene Muskelschwund-Formen, erste Anzeichen und typische Symptome bei Muskelschwund sowie die Lebenserwartung und Therapie bei der Erkrankung.
Was ist Muskelschwund?
Beim Muskelschwund (medizinischer Fachbegriff: Muskelatrophie) kommt es aufgrund unterschiedlicher Ursachen zur Rückbildung der Muskulatur. Konkret verkleinern sich Muskelfasern oder ihre Zahl nimmt ab. Davon betroffen sind häufig Muskeln am Rumpf, an Armen und Beinen. Aber auch an den Muskeln im Gesicht und im Inneren des Körpers, wie der Schluckmuskulatur, der Herzmuskulatur oder den Augenmuskeln, kann es zu einem Muskelschwund kommen.
Muskelschwunderkrankungen sind entweder nach ihrem Entdecker (zum Beispiel Werdnig-Hoffmann, Kugelberg-Welander, Duchenne, Becker-Kiener) oder nach der Körperregion benannt, in der sie sich abspielen: So sind beim fazio-skapulo-humeralen Typ hauptsächlich Gesicht, Schulterblatt und Oberarm betroffen, beim okulo-pharyngealen Typ die Augen und die Schluckmuskulatur.
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Mögliche Ursachen: Was löst Muskelschwund aus?
Ein Muskelschwund kann vielfältige Ursachen haben. Zum einen kann ein genetischer Defekt zum Absterben der Muskelzellen führen (myogener Muskelschwund oder Muskeldystrophie). Dazu gehören beispielsweise die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) sowie die Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener (BMD).
Zum anderen können die Nervenzellen absterben, welche Bewegungsreize an die Muskulatur weiterleiten (neurogene Muskelatrophie oder Denervationsatrophie). Dazu kommt es unter anderem bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) sowie bei der spinalen Muskelatrophie, bei der Nervenzellen des Rückenmarks erkrankt sind. Auch wenn nur einzelne Nerven geschädigt werden, wie beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom, kann es in der Folge zu Muskelschwund in einem begrenzten Bereich kommen. Beim Karpaltunnelsyndrom ist in der Regel der Daumenballen davon betroffen.
Zu den möglichen Auslösern von Muskelschwund zählen auch Erkrankungen, bei denen die Übertragung von Nervenimpuls zu Muskel beispielsweise durch Autoantikörper gestört ist. Dies ist unter anderem bei der Myasthenie (Myasthenia gravis) der Fall.
Weitere Auslöser möglich
Auch im Rahmen von auszehrenden Erkrankungen, wie Krebs oder COPD, kann es zu Muskelschwund kommen. Dies liegt daran, dass bei diesen Erkrankungen im Körper chronische Entzündungen bestehen. Diese sorgen für die Ausschüttung von Botenstoffen, sogenannter Zytokine, welche den Stoffwechsel anregen und den Abbau von Fett- und Muskelmasse beschleunigen. Zusätzlich ernähren sich Personen mit schweren Erkrankungen häufig nicht ausreichend. Da Muskeln für ihre Arbeit und ihren Erhalt vor allem Kohlenhydrate und Eiweiße (Proteine) benötigen, kann diese Mangelernährung einen Schwund an Muskulatur auslösen.
Von den bereits genannten krankhaften Ursachen wird die normale Muskelatrophie abgegrenzt, die nach längerer Ruhigstellung eines Körperteils, beispielsweise eines Armbruchs in einer Gipsschiene, oder nach Bettlägerigkeit bei einer längeren Erkrankung auftritt. Dabei gehen allerdings keine Muskelzellen zugrunde, sondern die einzelnen Muskelzellen schrumpfen mit der Abnahme der an sie gestellten Anforderungen einfach, um nach der Erkrankung und der erneuten Belastung wieder an Umfang zuzunehmen.
Auch im Alter ist ein gewisser Verlust an Muskelmasse normal. Kommt es durch einen übermäßigen Verlust zu starken Bewegungseinschränkungen, sollte ärztlicher Rat gesucht werden. Man spricht dann von einer Sarkopenie.
Bestimmte Medikamente können bei langfristiger Einnahme ebenfalls einen Muskelschwund bedingen. Dazu gehören Glukokortikoide sowie das Antibiotikum Levofloxacin.
Erste Anzeichen: Wie fängt Muskelschwund an?
Allen Muskelschwunderkrankungen ist gemeinsam, dass Bewegungen, für die die betroffenen Muskeln benötigt werden, zuerst nicht mehr flüssig, später nur noch unvollständig oder gar nicht mehr ausgeführt werden können. Wenn also die Beinmuskeln betroffen sind, können erste Anzeichen für eine Muskelschwunderkrankung darin bestehen, dass man häufiger stolpert, die Kraft schneller nachlässt und die Beine schneller ermüden. Sind die Hände betroffen, kann sich dies durch eine zunehmende Ungeschicklichkeit zeigen. Beispielsweise haben Betroffene Probleme, Dinge richtig zu greifen und lassen diese daher häufiger fallen.
Ein sichtbarer Verlust von Muskelmasse (also ein deutlich dünner gewordener Arm oder ein dünner gewordenes Bein) kann ein Anzeichen für Muskelschwund sein. Bisweilen wird der Verlust von Muskulatur aber vom Körper durch die vermehrte Bildung von Fett- und Bindegewebe ausgeglichen, sodass es zu keiner optischen Veränderung kommt.
Wirkt sich der Verlust der Muskeln auf Organe aus, zeigt sich dies in deren eingeschränkter Funktion. So kann es bei einem Schwund der Atemmuskulatur zu Atemnot oder Kurzatmigkeit kommen. Ist die Halsmuskulatur betroffen, treten Schluck- und Sprechstörungen auf.
Weitere Symptome bei Muskelschwund
Je nach Auslöser des Muskelschwunds können die weiteren Symptome im Krankheitsverlauf sehr unterschiedlich ausfallen. Handelt es sich um eine fortschreitende Erkrankung, können sich Beschwerden wie Gehprobleme teils weiter verschlimmern und bis zum kompletten Verlust der Gehfähigkeit führen.
Auch eine Ausweitung der Symptome auf andere Bereiche ist bei fortschreitenden Erkrankungen möglich. Sind beispielsweise zunächst nur die Beine betroffen, können sich die Probleme auch auf die Hand- und Armmuskulatur sowie auf die Atemmuskulatur ausdehnen, sodass Schwierigkeiten beim Bewegen der Hände oder beim Atmen und Husten hinzukommen. Im späteren Verlauf können auch Sprach- und Schluckbeschwerden auftreten.
Anzeichen für Muskelschwund bei Kindern
Bei einem Beginn der Erkrankung in den ersten Lebensmonaten kann selbst das Laufenlernen unmöglich sein. Zeigen sich erste Anzeichen erst im Kleinkindesalter, gehen bereits erlernte Fähigkeiten wie das Treppensteigen wieder verloren. Auch das Aufstehen aus der Hocke ist irgendwann nur noch möglich, indem sich Betroffene an sich selbst hochziehen (also mit den Armen abstützen, um eine aufrechte Haltung zu erreichen).
Kinder mit Muskelschwund zeigen einen charakteristischen Watschelgang und haben häufig kräftige Waden, die nicht auf eine vermehrte Muskulatur, sondern eine Einlagerung von Fettgewebe zurückzuführen sind. Bei den schwereren Formen des Muskelschwunds führt die eingeschränkte Beweglichkeit unweigerlich zu einer gekrümmten Körperhaltung und zu Kontrakturen der Muskulatur, sodass das Gehen irgendwann nicht mehr möglich ist.
Diagnose: Wie erkennt man einen Muskelschwund?
Neben den typischen körperlichen Symptomen, die je nach Typ an unterschiedlichen Muskelgruppen stärker ausgeprägt sind und dem*der Arzt*Ärztin oft schon den Weg zur Diagnose weisen, führen spezifische Blutwerte und Funktionstests (also Tests zu Einschätzung der Muskelkraft) zur Diagnose.
Bei den Muskeldystrophien kommt es typischerweise zu einer Erhöhung der Muskelenzyme (Creatinkinase, kurz CK) im Blut, was durch den massiven Abbau der Muskelmasse bedingt ist.
Auch ein erhöhter Harnstoffspiegel im Urin kann auf den Abbau von Muskulatur hinweisen. Dies liegt daran, dass beim Abbau von Muskeln vermehrt Eiweiß freigesetzt wird und es sich bei Harnstoff um ein Abfallprodukt handelt, das beim Abbau von Eiweiß entsteht.
Bei einigen Autoimmunerkrankungen, die mit Muskelschwund einhergehen, können die entsprechenden Antikörper im Blut nachgewiesen werden.
Bei allen Formen des Muskelschwunds zeigen sich zudem typische Veränderungen in der Elektromyografie. Im Rahmen dieser Untersuchungsmethode wird mithilfe dünner Nadelelektroden die elektrische Spannung in einzelnen Muskeln gemessen. Diese Spannung tritt natürlicherweise auf, wenn der Muskel bewegt wird. Die Muskelaktivität ist bei Muskelschwund krankhaft verändert – bei den Dystrophien sieht man viele kleine Entladungen, bei den nerval bedingten Formen kommt es zu einer massiven Abnahme von Einzelentladungen.
Mit einer Muskelbiopsie und Gentests lassen sich die einzelnen Formen abschließend voneinander abgrenzen.
Therapie: Was kann man gegen Muskelschwund tun?
Bei der Behandlung des Muskelschwunds hängen die eingesetzten Maßnahmen von der zugrundeliegenden Ursache ab. Je nachdem können die Grunderkrankung behandelt, die Ernährung angepasst oder Medikamente umgestellt werden. Einige Erkrankungen sind jedoch nicht heilbar. Dazu gehören beispielsweise genetisch bedingte Erkrankungen sowie ALS.
Alle therapeutischen Maßnahmen zielen dann darauf ab, die durch den Muskelschwund bedingten Bewegungs- und Koordinationsausfälle auszugleichen und aufzuhalten. Daneben müssen Folgeerscheinungen wie Bewegungseinschränkungen, rollstuhlpflichtige Gehbehinderungen oder Atemwegserkrankungen, die durch die verminderte Hustentätigkeit entstehen, behandelt werden.
Behandlung in einer Klinik
Gerade bei Patient*innen mit schwereren Formen von Muskelschwund kann der Aufenthalt in einer darauf spezialisierten Klinik helfen, ein Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen.
Die entsprechende Therapie besteht beispielsweise aus:
- intensiver Krankengymnastik
- Wassergymnastik
- Wärmebädern
- Massagen
- Reizstrombehandlung (sofern das Herz noch nicht geschädigt ist)
- Muskeltraining
Selbsthilfegruppen bei Muskelschwund
Da viele Formen von Muskelschwund für Betroffene äußerst belastend sind und für ihre Angehörigen oft einen enormen Pflegeaufwand darstellen, sind Tipps für den täglichen Umgang mit der Erkrankung oftmals sehr willkommen
Viele Selbsthilfegruppen sowie die Initiativen Deutsche Muskelschwundhilfe e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. haben langjährige Erfahrungen mit den verschiedenen Formen des Muskelschwunds vorzuweisen.
Muskelschwund: Verlauf und Lebenserwartung
Der Verlauf bei Muskelchwund kann sehr unterschiedlich sein. Je nach Form kann die Erkrankung bereits beim ungeborenen Kind oder in den ersten Lebensmonaten auftreten, andere Formen entwickeln sich erst in späteren Jahren oder nur unter bestimmten Bedingungen, wie im Rahmen einer Krebserkrankung.
Je früher die Erkrankung auftritt, desto aggressiver ist meist ihr Verlauf. Während frühe Formen oft bereits in den ersten zwei Lebensjahrzehnten tödlich sein können, kommt es bei nicht erblichen Formen meist nur zu wenigen Ausfällen durch den Muskelschwund und die Lebenserwartung ist oftmals nicht eingeschränkt.
Eine Ausnahme bildet die Muskelschwunderkrankung ALS, die meist erst in fortgeschrittenem Lebensalter auftritt, aber eine rasche Verschlechterung der Beschwerden aufweist und nach wenigen Jahren zum Tode führt.
Besonders problematisch bei einigen Formen des Muskelschwunds ist das Absterben der Muskeln, die als Atemhilfsmuskulatur die Atmung unterstützen. Je stärker diese Muskulatur betroffen ist, desto schwerer fällt das tiefe Durchatmen – es gelangt auf Dauer zu wenig Sauerstoff in den Körper. Auch das Sitzen im Rollstuhl und die gekrümmte Körperhaltung fördern das Fortschreiten entsprechender Erkrankungen insofern, als dass die Körperhaltung die Atemmuskulatur nicht mehr unterstützen kann und das Durchatmen immer schwerer fällt.
Die schlechte Durchlüftung der Lungen führt vermehrt zu Atemwegsinfektionen und einer eingeschränkten Lungenkapazität. Die chronischen Lungeninfektionen und die zunehmende Ateminsuffizienz sind letztlich der Hauptgrund für die herabgesetzte Lebenserwartung.
Daneben kann je nach Erkrankung auch die Schluck- oder Herzmuskulatur befallen sein – Schluckstörungen und eine ausgeprägte Herzschwäche sind mögliche Folgen.
Kann man einem Muskelschwund vorbeugen?
Erblich bedingtem Muskelschwund kann man nicht vorbeugen. Das Problematische an ihm ist, dass er häufig einem autosomal oder X-chromosomal rezessiven Vererbungsmodus folgt. Im Klartext bedeutet das, dass augenscheinlich gesunde Menschen Überträger*innen der Krankheit sein können und die Krankheit so über Generationen unbemerkt weitergegeben werden kann, ohne dass ein Familienmitglied erkrankt.
Anderen Formen des Muskelschwundes lässt sich teilweise vorbeugen. So kann durch einen Ernährungsplan bei älteren oder erkrankten Menschen versucht werden, einen Muskelschwund durch Mangelernährung zu verhindern. Auch medikamentenbedingtem Muskelschwund kann gegebenenfalls durch die Wahl einer anderen Therapiemethode vorgebeugt werden.
Teilweise können eine gezielte Physiotherapie und Krafttraining vorbeugend wirken, wenn Muskelschwund als Risikofaktor bekannt ist, beispielsweise bei Ruhigstellung nach einer Operation.