Wilms-Tumor – Nierenkrebs bei Kindern
Als der deutsche Chirurg Max Wilms in seinem 1899 erschienen Werk "Die Mischgeschwülste" einen bestimmten Nierenkrebs bei Kindern beschrieb, wusste er noch nicht, dass dieser später nach ihm benannt werden sollte. Noch weniger vorstellen konnte er sich vermutlich, dass der damals unweigerlich tödliche Tumor unter heutiger Therapie meist besiegt werden kann. Eine Krebsdiagnose ist zunächst immer furchtbar, umso mehr, wenn sie aus heiterem Himmel kommt und ein Kind betrifft. Doch beim Wilms-Tumor (oder auch Nephroblastom) können die Betroffenen zumindest von Anfang an hoffen: Er gehört heute zu den Krebsarten mit den besten Heilungschancen.
Ursachen: Wie entsteht der Wilms-Tumor?
Bereits länger bekannt ist, dass das Nephroblastom aus verschiedenen Grundgeweben des Embryos entsteht (deshalb auch "Mischgeschwulst"), das sich normalerweise bis zur Geburt entweder zurückbildet oder zu endgültigem Gewebe weiterentwickelt. Je nachdem, in welchem Entwicklungsstadien die Tumorzellen sind und aus welchem Ursprungsgewebe sie hervorgehen, kann das Geschwulst unter dem Mikroskop sehr unterschiedlich und vielgestaltig aussehen.
Wie genau es dazu kommt, dass sich das Keimgewebe in Teilen der Niere nicht normal entwickelt, ist noch nicht genau geklärt. Allerdings weiß man mittlerweile, dass Gene mit den ominösen Namen WT1 und WT2 auf dem Chromosom Nummer 11 sowie vermutlich noch weitere eine Rolle spielen. Was auch für eine angeborene Komponente spricht ist, dass gar nicht so selten gleichzeitig andere Fehlbildungen vorhanden sind, z.B. das Fehlen einer Augenlinse, ein Riesenwuchs von nur einer Köperseite oder eine Hufeisenniere.
Häufigkeit des Wilms-Tumors
Auch wenn der Wilms-Tumor der häufigste Nierenkrebs bei Kindern ist, kommt er insgesamt mit 1 Erkrankung bei 100.000 Kindern eher selten vor. Das entspricht in Deutschland einer jährlichen Neuerkrankungsrate von 110 Kindern. Gut ein Drittel der Betroffenen ist zwischen 1 und 5 Jahren alt, 16 % sind Säuglinge. In 5 % der Fälle sind beide Nieren befallen.
Durch welche Symptome äußert sich die Krankheit?
Tückisch ist, dass der Tumor meist lange keine Beschwerden verursacht – in etwa 10 % ist die Diagnose ein Zufallsbefund beim Abtasten im Rahmen einer Routineuntersuchung. Mit Abstand häufigstes Symptom ist die Zunahme des Bauchumfangs, die oft zunächst als Blähbauch fehlinterpretiert oder auch einem guten Ernährungsstatus zugeschrieben wird. Seltener sind Verdauungsbeschwerden, Blut im Urin oder Bauchschmerzen.
Nephroblastom: Wie wird die Diagnose gestellt?
Eine Blutuntersuchung gibt allenfalls in späten Stadien Hinweise auf einen Entzündungsprozess. Daneben lässt sich damit ggf. eine andere Tumorart (Neuroblastom) ausschließen.
Mit Abstand wichtigstes Hilfsmittel zur Diagnosestellung sind die bildgebenden Verfahren, insbesondere der Ultraschall und die Magnetresonanztomografie. Damit lassen sich dann auch die Größe und Ausbreitung bestimmen und erkennen, ob andere Organe befallen sind. Da der Tumor besonders häufig in die Lunge streut, wird von dieser auch eine Röntgenaufnahme gemacht. Die Funktion der Nieren wird mit einer Szintigrafie beurteilt.
Weitere Untersuchungen richten sich nach dem Tumor und der Therapie. Da mit diesen Mitteln das Nephroblastom ziemlich sicher diagnostiziert werden kann, ist eine Gewebeentnahme (Feinnadelbiopsie), bei der die Gefahr einer Tumorstreuung in den Bauchraum besteht, nur in sehr wenigen Ausnahmefällen nötig. Je nachdem, ob der Tumor nur auf eine Niere beschränkt ist, in das umliegende Gewebe gewachsen ist, Metastasen gestreut hat, beide Nieren befallen hat und operativ entfernbar ist, wird er einem von fünf Stadien zugeteilt, die sich nicht nur in der Behandlung, sondern auch in der Prognose unterscheiden.
Welche Therapie gibt es beim Wilms-Tumor?
Die Behandlung ist eine Kombination aus Chemotherapie (als Tabletten oder in die Vene bzw. den Muskel gespritzt), Operation und – in manchen Fällen – Bestrahlung. Sie richtet sich nach der Art des Tumors, seiner Ausbreitung (Staging) und dem Alter des Kindes.
Weltweit gibt es zwei prinzipielle Behandlungsrichtlinien. Sie unterscheiden sich dadurch, dass die Chemotherapie bei der einen erst nach einer Operation, bei der anderen bereits vorher durchgeführt wird. In Deutschland ist die zweite Vorgehensweise üblich.
Mit der Chemotherapie vor der Operation (präoperativ) kann der Tumor verkleinert werden und damit in eine Gruppe mit besserer Prognose rutschen. Außerdem wird die Gefahr eines Tumorrisses mit Streuung der Krebszellen oder Blutung während der Operation verringert. Die Dauer der präoperativen Chemotherapie reicht – je nach Tumor – von 4 bis 40 Wochen.
Bei der Operation kann entweder die betroffene Niere mit oder ohne umliegendem Gewebe und Lymphknoten entfernt werden oder, z.B. wenn nur noch eine Niere vorhanden ist, nur der Tumor ausgeschält werden. Ob anschließend zusätzlich eine Bestrahlung oder eine erneute Chemotherapie nötig ist, richtet sich nach dem Operationsbefund und danach, wie das entfernte Gewebe unter dem Mikroskop aussieht.
Wie sind Verlauf und Prognose?
Mit den heutigen Therapiemethoden können etwa 90 % aller Betroffenen langfristig geheilt werden. Im Einzelfall hängt die Prognose vom Stadium des Tumors und von seinen Gewebearten und deren Zusammensetzung ab.
Bei den einzelnen Methoden können Komplikationen auftreten, zum Beispiel:
- Blutungen und Entzündungen bei der Operation
- ein Verschluss der Lebervenen, Hörstörungen, Anämie oder Herzerkrankungen bei der Chemotherapie
- Beeinträchtigung der Lungenfunktion, Bindegewebsverhärtungen oder Krebserkrankungen (Jahre später) als Folge der Bestrahlung
Rezidive, also ein Wiederauftreten des behandelten Krebses, und Komplikationen treten am häufigsten in den ersten zwei Jahren nach dem Abschluss der Therapie auf. Aus diesem Grund müssen die Kinder in dieser Zeit besonders engmaschig kontrolliert werden – am Anfang im Abstand von wenigen Wochen, später dann Monaten. Dazu gehören neben dem Arztgespräch und der klinischen Untersuchung auch der Ultraschall des Bauches, das Röntgenbild der Lunge und das Bestimmen von Blut- und Urinwerten.
Je nach Tumorart und Therapie können dann noch Knochenszintigrafie, EKG und Herzultraschall und Hörtests hinzukommen.