Frau übt mit Kind wegen Legasthenie
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Legasthenie: Was steckt hinter der Lese-Rechtschreib-Schwäche?

Von: Dr. med. Olga Preukschas (geb. Reichold) (Ärztin)
Letzte Aktualisierung: 01.09.2020

Über kaum eine andere Krankheit gibt es wohl so viele Missverständnisse und Mythen wie über die Legasthenie. Diese Störung, die auch Lese-Rechtschreibstörung (LRS) oder -Schwäche genannt wird, betrifft weltweit circa fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen, ist aber auch noch im Erwachsenenalter für Betroffene relevant. Wie Legasthenie entsteht, wie sie diagnostiziert wird und welche Konsequenzen sie für die Betroffenen hat, erfahren Sie in diesem Artikel.

Was ist Legasthenie?

Laut Definition bezeichnet Legasthenie eine häufige Teilleistungsstörung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit, deren Ursache auf unterschiedlichen Faktoren zurückzuführen ist. Ganz wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass diese Störung nicht durch eine Intelligenzminderung verursacht wird.

Die Begriffe Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Leserechtschreibstörung werden dabei zum Teil nach ihren Ursachen differenziert und unterschiedlich verwendet. Fachliteratur, die Weltgesundheitsorganisation sowie namhafte Interessensverbände verwenden die Bezeichnungen jedoch synonym.

Der Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie e. V. verwendet für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, die die ICD-Kriterien der WHO erfüllen, sowohl den Begriff Legasthenie als auch Lese-Rechtschreib-Störung.

Ist die Legasthenie eine Krankheit oder gar Behinderung?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert laut ihrem internationalen Katalog der Krankheiten ICD-10 Legasthenie als eine Krankheit. Darüber hinaus unterscheidet und spezifiziert sie weitere Unterformen der Lese-Rechtschreib-Störung. War die Einteilung der Legasthenie in Deutschland Gegenstand von Gerichtsprozessen, wurde sie durch die meisten Gerichte als Behinderung definiert.

Dies wird zwar oft als Stigmatisierung kritisiert, allerdings muss man dabei beachten, dass die Anerkennung als Krankheit oder Behinderung die rechtliche Grundlage für einen Anspruch auf Förderung bildet. Der Status als Behinderung soll hierbei nicht abwertend gemeint sein, sondern die Notwendigkeit für eine unterstützende Therapie unterstreichen.

Welche Ursachen hat die Legasthenie?

Die genauen Ursachen einer Legasthenie sind noch nicht vollständig geklärt. Fest steht aber, dass die LRS von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. So haben Forscher herausgefunden, dass eine genetische Komponente eine Rolle spielen kann. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass Lese-Rechtschreib-Schwächen oftmals gehäuft innerhalb einer Familie auftreten. Als Auslöser der LRS wird eine Störung von Genen vermutet, die im Gehirn die Zuordnung von Buchstaben und Lauten sowie die sprachliche und die Wortverarbeitung beeinflussen.

Aber auch das Geschlecht und Umweltfaktoren haben einen Einfluss. So sind beispielsweise Jungs viel häufiger von Legasthenie betroffen. Erfolgt durch das soziale Umfeld keine entsprechende Förderung, kann sich dies wiederum negativ auf die Ausprägung der Legasthenie auswirken. Des Weiteren legen Studien nahe, dass eine Assoziation mit ADHS und erhöhtem Fernsehkonsum vorliegt.

Wie äußert sich die Legasthenie?

Symptome einer Legasthenie zeigen sich sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen. Folgende Anzeichen können beim Lesen auf eine LRS hinweisen:

  • Auslassen, Hinzufügen oder Ersetzen von Buchstaben, Silben und Wörtern
  • eine langsame Lesegeschwindigkeit
  • Buchstabenverdreher in Wörtern
  • Probleme, Buchstaben richtig zu bezeichnen
  • Probleme beim Vorlesen durch Verzögerungen oder Verlieren der Zeilen
  • mangelnde Fähigkeit, das Gelesene wiederzugeben oder aus dem Gelesenen Zusammenhänge zu erkennen
  • Ersetzen von Wörtern durch ein bedeutungsgleiches Wort

Zudem können sich beim Schreiben folgende Symptome einer Legasthenie zeigen:

  • Grammatikfehler
  • Fehler bei der Interpunktion (Zeichensetzung)
  • viele Fehler bei Diktaten oder dem Abschreiben von Texten
  • Fehler beim Buchstabieren von Wörtern
  • zum Teil unleserliche Handschrift

Aber auch andere Erscheinungsformeneiner Legasthenie sind möglich, wie etwa eine isolierte Rechtschreibstörung, bei der nur eines der Symptome vorliegt, eine Rechenstörung (Dyskalkulie) als Unterform der Legasthenie, oder eine Kombination aus allen Störungen.

Legasthenie testen: Wie diagnostiziert man LRS?

Für die Diagnostik der Legasthenie gibt es eine Leitlinie, also eine bundesweite Vorschrift, an die sich Pädagogen und Mediziner halten müssen. Der erste Schritt, um eine Legasthenie zu erkennen, besteht darin, andere Ursachen für eine Leistungsschwäche im Lesen und Schreiben auszuschließen, wie etwa Seh- oder Hörstörungen. Liegen diese nicht vor, so folgen verschiedene Tests im Bereich Rechnen, Lesen (beispielsweise Messung der Lesegeschwindigkeit), Schreiben und Textverständnis (Beantwortung von inhaltlichen Fragen zum Text) sowie ein IQ-Test.

Liegt die Leistung in allen Tests um mindestens 16 Prozent unter dem Durchschnitt, jedoch bei normalem IQ, so wird die Diagnose Legasthenie gestellt. Konkret diagnostiziert dies der Kinder- und Jugendpsychiater oder der Kinder- und Jugendpsychotherapeut und stellt ein entsprechendes Attest aus.

Welche Folgen kann eine unbehandelte Legasthenie haben?

Wird eine Lese-Rechtschreibschwäche nicht oder nicht angemessen therapiert, so kann es zu dauerhaften und teilweise schwerwiegenden negativen Folgen kommen. Die immer schlechter werdenden Leistungen in Schule und später Ausbildung oder Studium gehen mit schlechteren Chancen im Beruf einher.

Darüber hinaus können die permanent schlechten Leistungen auch negative Folgen für Psyche und Entwicklung nach sich ziehen. Betroffene haben oft ein geringes Selbstwertgefühl und ziehen sich sozial zurück. Gerade im schulischen Umfeld sehen sich betroffene Kinder oft einem großen Leistungsdruck und vor allem bei nicht erkannter LRS teilweise auch einem Unverständnis seitens der Lehrkräfte oder Eltern ausgesetzt.

Auch Eltern fühlen sich häufig überfordert, da ein alleiniges Üben zu Hause mit dem betroffenen Kind keine Besserung der Problematik mit sich bringen kann. Eine entsprechende Diagnose stellt deshalb sowohl für Kinder als auch für Eltern oftmals eine große Entlastung dar, da die LRS nun entsprechend therapiert werden kann.

Ist Legasthenie heilbar?

Nach dem heutigen Stand der Forschung ist Legasthenie nicht vollständig heilbar. Allerdings können durch eine frühe und gezielte Therapie erstaunliche Fortschritte und Verbesserungen der Lese- und Rechtschreibkompetenz erzielt werden.

Auch im Erwachsenenalter ist eine Therapie noch möglich, die Lernfortschritte treten jedoch langsamer ein und die Erfolgsaussichten sind insgesamt nicht so hoch wie bei einer frühzeitigen Therapie in Kindheit und Jugend.

Was tun bei Legasthenie?

Wurde eine Lese-Rechtschreib-Schwäche diagnostiziert, sollte so früh und schnell wie möglich mit einer Therapie durch einen Legasthenietrainer begonnen werden, da die Aussicht auf Erfolg einer Förderung am größten ist, umso früher diese beginnt. Eine Therapie trainiert die jeweiligen Problembereiche des Betroffenen durch verschiedene Übungen des Lesens, des Schreibens und der Aussprache.

Diese Bereiche werden trainiert, da das gelesene, geschriebene und gesprochene Wort auf jeweils drei unterschiedliche Arten (visuell, motorisch und phonetisch, also lautlich) im Gehirn abgespeichert wird. Die unterschiedlichen Übungen sollten an den Entwicklungsstand des Betroffenen im jeweiligen Bereich angepasst sein.

Aber auch Strategien zur Entspannung und Stressbewältigung werden trainiert. Dies soll den Betroffenen dabei helfen, beispielsweise in Prüfungssituationen besser mit ihrer LRS umgehen zu können und so eine Verschlimmerung der Problematik durch Stress und Hektik zu vermeiden.

Wer übernimmt die Kosten für eine Therapie?

Laut Krankenkassen und Gesetzgeber sind die Kosten für eine Legasthenietherapie von den Eltern selbst zu tragen. Allerdings gibt es Voraussetzungen, unter denen das Jugendamt bei Kindern die Kosten für die Therapie übernimmt. Diese beinhalten, dass ein Lehrer des Kindes den Förderbedarf bestätigen muss und dass die Schule selbst keine für die Bedürfnisse des Kindes angemessene Förderung anbietet.

Liegen diese beiden Punkte sowie eine offizielle ärztliche Diagnose der Lese-Rechtschreib-Störung vor, so sollten Eltern auf jeden Fall einen Antrag auf Kostenübernahme beim Jugendamt stellen.

Wird die Therapie im Erwachsenenalter angetreten, müssen die Kosten selbst getragen werden. Ausbildungsstätten oder Arbeitgeber sind jedoch bisweilen bereit, eine Therapie im Rahmen der Mitarbeiterförderung zu unterstützen. Im Zweifelsfall sollte hier das Gespräch gesucht werden.

Welche zusätzlichen Förderungsmaßnahmen gibt es?

Neben einer Therapie gibt es zusätzlich viele weitere Förderprogramme und Übungen für Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, die regional sehr unterschiedlich ausfallen können. Beispiele für Hilfsangebote finden sich unter anderem auf der Website des Bundesverbands für Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL). Dieser bietet viele Hilfestellungen und Kurse für Legastheniker an, aber auch die LegaKids Stiftung bietet zum Beispiel mit ihren spielerischen Übungen ähnliche Leistungen.

Darüber hinaus sollten sich Eltern in der Schule ihrer Kinder, in Bibliotheken oder Bildungszentren über Förderungsangebote informieren und diese in Anspruch nehmen.

Steht Legasthenikern ein Nachteilsausgleich zu?

Da Kinder mit Legasthenie aufgrund ihrer Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben mehr Zeit für schriftliche Prüfungen benötigen, gibt es einen Nachteilsausgleich. Dieser äußert sich meistens darin, dass den Betroffenen mehr Prüfungszeit gegeben wird. Da Bildung in Schulen und Universitäten nicht vom Bund, sondern den Ländern geregelt wird, sind die Regelungen hierzu regional sehr unterschiedlich.

Darüber hinaus weichen selbst innerhalb eines Bundeslandes die Umsetzungen teilweise sehr stark voneinander ab, sodass pauschal nicht gesagt werden kann, ob und in welchem Umfang Legasthenikern ein Nachteilsausgleich zusteht.

Dies sollte bei den einzelnen Schulen, Ausbildungsstätten und Universitäten einzeln angefragt werden. Zum Erhalt eines Nachteilsausgleichs muss ein Attest vorgelegt werden, das die Legasthenie bescheinigt.