Magersucht (Anorexie) – süchtig nach Hungern
Oft beginnt Magersucht mit einer harmlosen Diät, um einige überflüssige Pfunde loszuwerden. Doch der Übergang in eine Magersucht kann fließend sein. Wenn das Gewicht immer weiter sinkt und das Essverhalten außer Kontrolle gerät, ist meist professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie notwendig. Insbesondere Mädchen und junge Frauen sind gefährdet, an Magersucht zu erkranken – jedoch können auch Männer betroffen sein. Die Erkrankung kann lebensbedrohlich sein. Eine frühzeitige Therapie verbessert die Chancen auf Heilung deutlich. Was sind mögliche Symptome der Anorexie und welche Behandlung kann helfen?
Was ist Magersucht?
Magersucht (auch Anorexia nervosa oder einfach Anorexie) ist eine Form der Essstörung. Diese psychischen Erkrankungen sind durch einen krankhaften Umgang mit der Nahrungsaufnahme gekennzeichnet.
Bei Magersucht liegt laut Definition ein Body-Mass-Index (BMI) von unter 17,5 kg/m² vor. Weitere Kriterien zur Diagnosestellung sind ein selbst herbeigeführter Gewichtsverlust, eine Körperschemastörung, bei der sich die Betroffenen trotz Untergewicht zu dick fühlen sowie hormonelle Störungen als Folge der Unterernährung. Wenn nicht alle dieser Kriterien erfüllt sind, sprechen Fachleute von atypischer Anorexie.
Abgrenzung von anderen Essstörungen
Magersucht zählt zusammen mit Bulimie (Ess-Brech-Sucht, Bulimia nervosa) und der Binge-Eating-Störung zu den Essstörungen. Auch die Orthorexie ist eine Art von Essstörung. Wo liegt der Unterschied zwischen den verschiedenen Erkrankungen?
Essattacken bei Bulimie und Binge-Eating-Störung
Im Gegensatz zu Magersucht stehen bei Bulimie nicht das Hungern, sondern Essanfälle mit anschließendem absichtlichem Erbrechen im Vordergrund. Beiden Essstörungen gemein ist die krankhafte Angst, zuzunehmen, sowie das ständige gedankliche Beschäftigen mit Essen.
Die Binge-Eating-Störung ist ebenfalls durch Essattacken gekennzeichnet. Da jedoch keine anschließende Gegenmaßnahme wie Erbrechen erfolgt, sind die Patienten meist übergewichtig.
Orthorexie: Krankhaft gesunde Ernährung
Eine neuere Form der Essstörung ist die sogenannte Orthorexie: Hierbei achten die Betroffenen zwanghaft auf eine gesunde Ernährung und verweigern strikt in ihren Augen ungesunde Lebensmittel.
Langfristige Folgen können Mangelernährung und soziale Isolation sein. Orthorexie ist jedoch bislang noch keine anerkannte eigenständige Erkrankung.
Häufigkeit: Wer hat Magersucht?
Magersucht kommt besonders häufig bei Teenagern und jungen Frauen vor. Doch auch Männer können magersüchtig sein. Dies ist allerdings weitaus seltener der Fall, denn Frauen sind etwa zehnmal so häufig betroffen.
In der Regel beginnt die Erkrankung zwischen dem 10. und dem 25. Lebensjahr, meistens jedoch in der Pubertät mit 13 bis 16 Jahren. In Deutschland leiden etwa 1,4 Prozent der Erwachsenen an Magersucht – so das Ergebnis einer repräsentativen Studie von 2013. Allerdings schwanken Häufigkeitsangaben diesbezüglich sehr stark. Zudem ist insbesondere bei Essstörungen die Dunkelziffer enorm hoch.
Schlankheitswahn als Ursache?
Verschiedene Ursachen können zur Entstehung von Magersucht führen. Eine Rolle scheinen die Gene zu spielen, denn bei eineiigen Zwillingen sind in bis zu 50 Prozent der Fälle beide Geschwister betroffen. Auch biologische Faktoren wie Veränderungen der Nervenbotenstoffe können beteiligt sein.
Zudem können Traumata in der Kindheit, eine gestörte Konfliktverarbeitung in der Familie oder eine überbehütete Erziehung zur Entstehung von Magersucht beitragen. Ob die Verbreitung des schlanken Schönheitsideals in Medien und Gesellschaft Magersucht fördern oder verursachen kann, ist umstritten.
Anzeichen: Woran erkennt man Magersucht?
Der Übergang von einer Diät zur Magersucht ist oft schleichend. Doch ab wann spricht man von Magersucht? Alarmzeichen ist die sogenannte Körperschemastörung (Body Dysmorphia): Magersüchtige finden sich trotz offensichtlichem Untergewicht zu dick und möchten weiter abnehmen.
Kennzeichnend für Magersucht ist außerdem die strikte Kontrolle der Nahrungsaufnahme, wobei "dickmachende" Nahrungsmittel meist vermieden werden. Wichtig ist der Unterschied zu reinem Untergewicht: Häufig werden Untergewichtige als magersüchtig bezeichnet, obwohl sie ein normales Essverhalten aufweisen.
Magersucht: mögliche Symptome
Neben dem Hauptmerkmal "Untergewicht durch selbst herbeigeführte Gewichtsabnahme" kann sich Magersucht in verschiedenen Ausprägungen zeigen. Weitere mögliche Symptome sind unter anderem:
- lange Fastenperioden
- exzessiver Sport
- Missbrauch von Medikamenten wie Abführmittel, Entwässerungstabletten, Schilddrüsenmedikamenten oder Appetitzügler
- absichtliches Erbrechen mit oder ohne vorherige Essanfälle
- strenge Kontrolle des Körpergewichts mit sehr niedrigem Zielgewicht
- panische Angst vor Gewichtszunahme
- Verheimlichen von Gewichtsabnahme – etwa durch weite Kleidung oder versteckte Gewichte beim Wiegen
- sehr langsames Essen oder selbst erdachte "Essensrituale"
- ständige gedankliche Beschäftigung mit den Themen Gewicht und Ernährung
Nicht selten leiden Magersüchtige zusätzlich unter psychischen Symptomen oder Erkrankungen wie depressiver Verstimmung, zwanghaftem Verhalten, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen. So kann ein Teufelskreis entstehen, der die Magersucht unter Umständen verschlimmert.
Folgen der Magersucht: körperliche Symptome
Da der Körper bei Magersucht zu wenig Energie und Nährstoffe erhält, kommt es häufig zu körperlichen Mangelerscheinungen oder in schweren Fällen sogar zu dauerhaften Schäden.
Zu den kurzfristigen Folgen der verminderten Energiezufuhr zählen beispielsweise:
- Frieren, kalte Hände und Füße
- Kopfschmerzen
- Verstopfung
- niedriger Blutdruck, langsamer Herzschlag
- Schlafstörungen
- Konzentrationsprobleme, Leistungsminderung
Bei langfristiger Unterernährung kann es durch Energie- und Nährstoffmangel zudem zu folgenden körperlichen Veränderungen kommen:
- trockene, schuppige Haut
- brüchige Nägel
- Haarausfall
- flaumige Behaarung am ganzen Körper (Lanugo-Behaarung)
- Aussetzen der Periode durch Absinken des Geschlechtshormonspiegels
- verringertes Interesse an Sexualität (Libidoverlust)
- Potenzstörungen bei Männern
- Herzrhythmusstörungen (etwa durch Kaliummangel bei Erbrechen sowie bei Missbrauch von Abführmitteln oder Entwässerungstabletten)
- Nierenschäden
- Osteoporose
- Zahnschäden (durch Kalziummangel oder durch Erbrechen)
- Infektanfälligkeit durch Schwächung des Immunsystems
- Wassereinlagerung aufgrund von Eiweißmangel
- Schwund von Hirngewebe mit Konzentrationsstörungen, Gedächtnisschwäche oder Wesensveränderung (normalisiert sich meist bei Erreichen von Normalgewicht)
Magersucht behandeln: Was tun bei Anorexie?
Die Therapie der Magersucht setzt sich aus der Behandlung der körperlichen Symptome und psychotherapeutischer Unterstützung zusammen. Im Folgenden stellen wir Ihnen die verschiedenen Möglichkeiten der Therapie vor.
Zunehmen: Akutbehandlung der Magersucht
Je nach Ausmaß des Untergewichts ist die Stabilisierung des körperlichen Zustands vorrangig. Hierfür müssen die Patienten abhängig vom BMI an Körpergewicht zunehmen und mögliche Mangelerscheinung wie Elektrolytstörungen ausgeglichen werden. In schweren Fällen ist dabei die stationäre Aufnahme in einer Klinik sinnvoll. Bei mangelnder Krankheitseinsicht kann unter Umständen eine Zwangsernährung mittels Magensonde notwendig sein.
Psychotherapie: Kernelement der Behandlung
Eine Psychotherapie – etwa in Form einer sogenannten kognitiven Verhaltenstherapie – ist in der Behandlung der Magersucht essentiell. Denn in den meisten Fällen ist eine Heilung der Erkrankung nur mit psychologischer Unterstützung möglich.
Die Betroffenen lernen dabei, wie sie ihren Körper annehmen können und werden schrittweise an ein normales Essverhalten und an ein Leben nach der Magersucht herangeführt. Oftmals wird ein Behandlungsvertrag gestaltet, in dem Behandlungsziele – wie eine bestimmte wöchentliche Gewichtszunahme (meist 500 bis 1.000 Gramm) – festgehalten werden.
Therapie: Medikamente nur bei Begleiterkrankungen
Zusätzlich zu einer Psychotherapie können Gruppen- oder Kunsttherapien zum Einsatz kommen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist zudem der Einbezug der Angehörigen – etwa in Form einer Familientherapie – sehr wichtig.
Medikamente, die die Psyche beeinflussen (sogenannte Psychopharmaka), werden bei Magersucht hingegen nur im Falle von psychischen Begleiterkrankungen wie etwa Depressionen angewendet. Die Dauer der Behandlung bei Magersucht hängt vom Behandlungserfolg ab und ist bei jedem Patienten unterschiedlich.
Prognose: Frühzeitige Therapie erhöht Heilungschancen
Entscheidend für die Prognose der Magersucht ist der frühzeitige Beginn einer Therapie. Außerdem gilt generell: Je ausgeprägter der Gewichtsverlust ist und je älter die Betroffenen bei Erkrankungsbeginn sind, desto häufiger kommt es zu Rückfällen.
Die Heilungsrate der Magersucht wird mit ungefähr 50 bis 70 Prozent angegeben. Demgegenüber steht eine Sterberate von etwa 5 bis 20 Prozent, wobei neben den körperlichen Schäden durch extremes Untergewicht Selbstmord eine häufige Todesursache bei Magersüchtigen ist.
Hilfe-Leistung im Internet
Patienten mit Magersucht haben meist Hemmungen, einen Arzt aufzusuchen und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Hier bietet das Internet zahlreiche Informationsangebote für Betroffene sowie Rat für die Eltern. Auch Adressen von Beratungsstellen und Tests zur Ersteinschätzung ("Bin ich magersüchtig?") finden sich online.
Folgende Links bieten weiterführende Informationen und Hilfe-Leistung zu Magersucht:
Pro Ana: Gefährlicher Austausch im Internet
Das Internet bietet Betroffenen niedrigschwellige und kostenlose Austauschplattformen – allerdings auch im negativen Sinn: "Pro Ana" ist eine Magersüchtigenbewegung, die Anfang des 21. Jahrhunderts im Internet entstand und deren Ziel nicht die Bekämpfung der Erkrankung, sondern das weitere Abnehmen ist.
Auf Blogs und in Foren wird die Krankheit idealisiert und in Form von "Ana" (abgeleitet von Anorexie) personifiziert. Magersüchtige geben sich gegenseitig Tipps zum Abnehmen und Verheimlichen der Erkrankung und motivieren sich gegenseitig – beispielsweise mit Bildern von sich oder von untergewichtigen Models (sogenannte "Thinspiration").