5 Fakten über chronische Schlafstörungen: ein Experte klärt auf
Schätzungsweise sechs bis zehn Prozent aller erwachsenen Menschen in Deutschland leiden unter einer chronischen Schlafstörung (auch chronische Insomnie genannt).1 Dass es sich bei dieser um eine ernstzunehmende Erkrankung handelt, zeigt unter anderem die stark eingeschränkte Lebensqualität von Betroffenen und das erhöhte Risiko für verschiedene körperliche und psychische Folgeerkrankungen.2, 3 Im folgenden Experten-Gespräch erklärt der Diplom-Psychologe Werner Cassel, welche fünf Fakten über die chronische Schlafstörung Sie unbedingt kennen sollten und warum die richtige Behandlung der Erkrankung äußerst wichtig ist. Mittlerweile stehen verschiedene Behandlungsansätze zur Verfügung, darunter auch verschreibungspflichtige medikamentöse Therapieoptionen, die zur Langzeitbehandlung geeignet sind.
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1. Eine chronische Schlafstörung hat einen großen Einfluss auf den Alltag
„Schlechter Schlaf macht uns unzufrieden und unglücklich. Das ist sicherlich ein entscheidender Grund dafür, dass Betroffene mit chronischer Schlafstörung ihre Lebensqualität als stark verringert wahrnehmen. Denn diese ist eines der wichtigsten Anzeichen dafür, wie zufrieden wir mit unserem Leben sind“, so Werner Cassel. Der chronisch gestörte Schlaf führt bereits kurzfristig zu erheblichen Auswirkungen auf den Alltag wie Schläfrigkeit und Erschöpfung am Tag. Betroffene können sich schlechter konzentrieren und sind weniger leistungsfähig – zum Teil mit negativen Folgen für die berufliche Tätigkeit aufgrund schlechterer Leistung und höherer Fehlzeiten. Die Müdigkeit führt außerdem zu Reizbarkeit, was zu Problemen und Spannungen im persönlichen Umfeld führen kann, sodass Patient*innen sich eher zurückziehen und Kontakte meiden.4, 5, 6
2. Eine chronische Schlafstörung kann langfristige gesundheitliche Folgen haben
Schlaf spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Er beeinflusst nahezu alle Aspekte unseres Körpers, darunter die Hirnfunktion, das Immunsystem, die psychische Gesundheit, das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel und die Körpertemperatur.7
Laut Cassel verändert bereits ein um zwei Stunden verkürzter Schlaf 2.000 genetische Schalter für den kommenden Tag. Dies liegt daran, dass der Schlaf seine Funktion dann nicht erfüllen kann und nicht ausreichend Erholung stattfindet. „Wir sind buchstäblich andere Menschen“, so der Diplom-Psychologe.
Cassel erklärt weiter: „Wenn eine Schlafstörung dauerhaft bestehen bleibt und chronisch wird, erhöht sich langfristig das Risiko für ganz verschiedene Erkrankungen.“ So haben Menschen mit chronischer Schlafstörung ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Herzversagen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen und neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz.2
3. Eine chronische Schlafstörung verschwindet nicht von allein
Nicht selten kommen Patient*innen in seine schlafmedizinische Sprechstunde (Hochschulambulanz Universitätsklinik Marburg), die seit 15 oder mehr Jahren schlecht schlafen. Denn eine chronifizierte Schlafstörung verschwinde in den meisten Fällen nicht einfach wieder, erklärt Cassel. Der Diplom-Psychologe spricht von einem Teufelskreis, der sich entwickeln kann: „Wenn Betroffene erleben, dass sie schlecht schlafen, dann strengen sie sich immer mehr an, wieder gut zu schlafen, und da beginnt oftmals das Problem. Schlafen funktioniert dann am besten, wenn wir gelassen bleiben und loslassen können. Je mehr wir uns anstrengen, gut zu schlafen, desto schwieriger wird es. So können Schlafstörungen aufrechterhalten und letztendlich chronisch werden.“ Hat sich die Schlafstörung erst einmal chronifiziert, bleibt sie oft über mindestens fünf Jahre bestehen und auch nach einer vorübergehenden Besserung kehrt sie häufig wieder.8, 9
4. Eine schlechte Nacht ist noch keine chronische Schlafstörung
„Schlaf ist ein komplexes System, das störbar ist. Er reagiert empfindlich auf äußere und innere Einflussfaktoren wie Stress, Belastungen oder hormonelle Veränderungen – das und vieles mehr beeinflusst, ob wir gut schlafen oder nicht. Aber hin und wieder mal schlecht zu schlafen – das ist keine chronische Schlafstörung.“ Vielmehr betont der Schlafexperte, dass man eine schlechte Nacht möglichst nicht zu ernst nehmen sollte. Denn dann droht der genannte Teufelskreis, der im schlimmsten Fall zu einer Chronifizierung führen kann. „Und ein dauerhaft schlechter Schlaf ist im Gegensatz zu gelegentlichen Schlafproblemen sehr gefährlich und sollte dementsprechend behandelt werden“, verdeutlicht Cassel.
Definition einer chronischen Schlafstörung
Von einer chronischen Schlafstörung spricht man, wenn die Symptome seit mindestens drei Monaten bestehen und mehrmals pro Woche auftreten. Dazu zählen Einschlaf- und/oder Durchschlafprobleme sowie frühmorgendliches Erwachen, trotz ausreichender Möglichkeit zum Schlafen. Für die Diagnose werden auch die Auswirkungen auf die Tagesaktivität Betroffener berücksichtigt.4
5. Eine chronische Schlafstörung ist behandelbar
„Betroffene sind der Erkrankung nicht hilflos ausgeliefert. Es gibt verschiedene Wege, eine chronische Schlafstörung zu behandeln, und es ist gut, nicht Jahre damit zu warten“, so der Psychologe. Viele Patient*innen machen jedoch schlechte Erfahrungen, weil sie mit ihren Beschwerden von Ärzt*innen nicht ernst genommen werden. Cassel empfiehlt, auch dann hartnäckig zu bleiben und nicht aufzugeben. „Man kann etwas tun und man sollte es auch tun, weil eine chronische Schlafstörung so viele Konsequenzen haben kann“, so der Experte. Das Ziel eines individuellen Therapiekonzepts zur Behandlung einer chronischen Schlafstörung ist es, nicht nur die Schlafdauer, sondern auch die Schlafqualität dauerhaft zu verbessern.
Diese Behandlungsmöglichkeiten gibt es
- kognitive Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen (KVT-I): Diese spezielle Form der Verhaltenstherapie hilft Betroffenen, eine gesündere Beziehung zum Schlaf und Routinen rund um den Schlaf zu erlernen und umzusetzen. Jedoch profitieren nicht alle Betroffenen gleichermaßen. Es braucht ein hohes Maß an Eigenengagement, Zeit und Mühe. Zudem gibt es bislang zu wenige Therapieplätze und qualifizierte Therapeut*innen.2, 9 Inzwischen gibt es auch die Möglichkeit, eine KVT-I per digitaler Gesundheitsanwendung durchzuführen, was deren Zugänglichkeit verbessert.
- freiverkäufliche Medikamente: Diese haben meist eine begrenzte Wirksamkeit und ihre Wirkung ist teilweise nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.3
- verschreibungspflichtige Medikamente: Es stehen viele unterschiedliche rezeptpflichtige Schlafmittel zur Verfügung. Die geeignete Therapieoption sollte individuell mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt besprochen werden.
Informieren und aktiv werden
Eine chronische Schlafstörung ist eine ernstzunehmende Erkrankung. Das verdeutlicht das Gespräch mit Diplom-Psychologe Werner Cassel. Das tägliche Leben und die langfristige Gesundheit können durch die Erkrankung dauerhaft beeinträchtigt werden.2 Aber niemand ist einer chronischen Schlafstörung hilflos ausgeliefert. Dabei gilt es, zusammen mit Expert*innen eine individuell abgestimmte Behandlungsform zu finden. Erste Ansprechpersonen können Hausärzt*innen sein, die bei Bedarf an Fachärzt*innen für Neurologie, Psychiatrie oder Schlafmedizin überweisen können.
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