Ölziehen – so wirkt die Detox-Methode aus dem Ayurveda
Ölziehen ist für einige so alltäglich wie Zähneputzen, andere schütteln sich vor Ekel, wenn sie nur davon hören: Jeden Morgen einen Schluck Öl in den Mund nehmen, ordentlich spülen und dann ausspucken. Ölziehen hat sich mittlerweile zu einem beliebten Detox-Ritual entwickelt. Die Anwendung aus der Alternativmedizin ist jedoch keineswegs ein neuartiger Trend, sondern eine jahrhundertealte Heilmethode. Die Wirkung von Ölziehen soll sich dabei nicht nur auf eine gesunde Mundflora beschränken, sondern sich auf die ganzheitliche Behandlung verschiedener Krankheiten sowie die Entgiftung des Körpers erstrecken. Das einfach durchzuführende Heilverfahren erfreut sich großer Beliebtheit, ruft allerdings auch Zweifel und Kritik hervor. Lesen Sie hier, wie Ölziehen funktioniert, was es mit der Erstverschlimmerung auf sich hat und ob es tatsächlich etwas bringt.
Was ist Ölziehen?
Ölziehen, im Englischen Oil Pulling, ist eine alternativmedizinische Heilanwendung, die auch unter den Begriffen Ölkur, Ölsaugen oder Ölkauen bekannt ist. Beim Ölziehen wird der Mundraum je nach Methode über einen bestimmten Zeitraum mit einem Pflanzenöl oder einer Ölmischung durchgespült. Ziel ist es in erster Linie, Schadstoffe aus dem Körper "herauszuziehen", diesen also zu entgiften. Hier finden Sie eine Anleitung zum Ölziehen.
Woher kommt Ölziehen?
Die ganzheitliche Methode geht auf antike Traditionen wie den Ayurveda, die indische Lehre vom gesunden Leben, zurück. Ölziehen taucht zum ersten Mal in der Charaka Samhita, der ältesten ayurvedischen Schrift, unter der Bezeichnung Kavala Graha oder Kavala Gandoosha auf. Über 30 verschiedene Krankheiten werden in dem 2.000 Jahre alten Werk aufgelistet, die sich durch das Ölziehen (hier mit Sesamöl) bekämpfen lassen sollen.
Das Ölziehen speziell mit Sonnenblumenöl stammt wahrscheinlich ursprünglich aus der ukrainischen und russischen Volksmedizin.
Die im deutschsprachigen Raum existierenden Behandlungsempfehlungen sind auf zwei Artikel in den Publikationen "Natur & Heilen" sowie "Natur und Medizin" aus dem Jahr 1991 zurückzuführen. Beide Publikationen beziehen sich dabei auf einen Vortrag des ukrainischen Arztes Dr. Fedor Karach, der auf einem Kongress des Verbands der Onkologen und Bakteriologen das Verfahren vorgestellt haben soll. Genaue Zeit- und Quellenangaben zu diesem Ereignis fehlen allerdings, zitierfähige Publikationen eines Dr. Karach ebenfalls.
Wozu Ölziehen?
Neben der Gesunderhaltung der Zähne und der Mundflora soll der wichtigste Nutzen des Ölziehens die Entgiftung des Körpers sein. Darüber hinaus wird der Methode nachgesagt, dass sie durch die Entgiftung systemischen und chronischen Krankheiten vorbeugen, deren Symptome sowie andere Beschwerden lindern und einige Erkrankungen sogar heilen könne. Im Folgenden stellen wir Ihnen die gesundheitlichen Effekte des Ölziehens genauer vor.
Ölziehen als Zahnreinigung?
Ölziehen soll besonders der Zahnreinigung und einer gesunden Mundflora dienlich sein und speziell gegen folgende Beschwerden helfen, beziehungsweise diesen vorbeugen:
- Zahnfleischbluten
- Zahnfleischentzündung
- Mundgeruch
- Zahnbelag
- Karies
- Zahnverfärbungen
- Mundtrockenheit
- trockener Hals
- rissige Lippen
In der Tat berichten einige – vor allem indische – Studien von einer positiven Wirkung von Ölziehen auf die Zahn- und Mundgesundheit. Demnach könne das Ölziehen mit Kokos-, Sonnenblumen- oder Sesamöl ähnlich wie eine Mundspülung auf Basis von Chlorhexidin zur Reduktion von Zahnbelag (Plaque) oder Mundgeruch beitragen.
Nichtsdestotrotz ersetzt Ölziehen nicht das Zähneputzen, sondern dient lediglich als ergänzende Möglichkeit zur Gesunderhaltung des Mundraumes. Zu beachten ist außerdem, dass all diese Studien wissenschaftliche Mängel aufweisen und daher nicht als aussagekräftig gelten.
Ölziehen als Detox-Ritual
Öle und Ölmischungen sollen Gifte und Schadstoffe über die Zunge, den Speichel und die Mundschleimhaut aus dem Körper ziehen können. Denn Ölziehen soll die Speicheldrüsen anregen und so das Ausscheiden von schädlichen Stoffen aus dem Organismus unterstützen. Nach den Lehren des Ayurveda ist die Zunge zudem mit verschiedenen Organen und Bereichen des Körpers verbunden, weshalb darüber schädliche Stoffe abgeleitet werden können.
Oft werden auch Detox-Kuren – also Entgiftungskuren – mit dem Ölziehen-Verfahren angepriesen. So soll beispielsweise beim Abnehmen oder Fasten das schwindende Fettgewebe zuvor eingelagerte Schadstoffe freisetzen. Diese sollen dann durch Ölziehen aus dem Körper entfernt werden können.
Aber: Es gibt keinen medizinischen Beleg, dass Detox-Methoden dazu beitragen können, den Körper zu entgiften, oder dass eine solche Entgiftung überhaupt nötig ist. Denn normalerweise entledigt sich der Körper schädlicher Substanzen selbst, und zwar mithilfe von Leber, Niere, Darm, Haut und Lunge. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Konzept von Detox daher nicht belegbar.
Bei welchen Krankheiten soll Ölziehen helfen?
Nicht nur die allgemeine Entgiftung des Körpers soll durch Ölziehen angeregt werden, sondern es soll auch gegen Krankheiten wirken. Konkret soll die Heilmethode neben dem Erhalt einer gesunden Mundflora bei den folgenden Erkrankungen und Beschwerden helfen:
- Kopfschmerzen
- Hautprobleme (Ekzeme, Akne, Schuppenflechte, Neurodermitis)
- Rheuma
- Arthrose
- Thrombose
- Blasen- und Nierenleiden
- Bronchitis
- grippale Infekte
- Regelschmerzen und Wechseljahre
- Magengeschwüre und Magenschleimhautentzündungen
- Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts (zum Beispiel bei Befall mit dem Candida-Pilz)
- Erkrankungen des Herzens
- Erkrankungen des Blutes
- Erkrankungen der Leber
Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn dem Ölziehen werden viele positive Effekte zugeschrieben. Man sollte sich jedoch bewusst machen, dass die Wirkung von Ölziehen bei diesen Beschwerden lediglich auf Erfahrungsberichten beruht und nicht wissenschaftlich belegt ist.
Ölziehen gegen Beschwerden bei Krebs?
Der Einsatzzweck von Ölziehen bei Krebs ist sehr gering: Menschen mit Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum, im Magen-Darm-Trakt, in der Leber oder der Niere leiden häufig an Mundgeruch, da solche Tumore die Zellstruktur verändern.
Bestimmte Medikamente, die in der Krebsbehandlung eingesetzt werden, können zudem Entzündungen der Mundschleimhaut begünstigen. Zusätzlich können durch einige Therapieformen wie zum Beispiel Chemo- oder Strahlentherapie vermehrt Schleimhautzellen absterben, was ebenfalls eine Geruchsentwicklung bewirkt. Darüber hinaus bilden die Schleimzellen durch die Behandlung einen Nährboden für Mikroorganismen, sodass Bakterien und Pilze Gase und somit Mundgeruch hervorrufen können.
In diesen Fällen kann Ölziehen betroffenen Krebspatient*innen möglicherweise helfen, da es antioxidativ und antibakteriell wirken soll. Zudem bildet das Öl eine Art Schutzfilm über der Mundschleimhaut. Ölziehen kann also zur Bekämpfung von Mundgeruch und Entzündungen bei Krebs verwendet werden, nicht jedoch zur Vorbeugung oder Therapie von Krebs an sich.
Erklärungen für die Wirkmechanismen von Ölziehen
Zur Wirkweise von Ölziehen gibt es verschiedene, jedoch nicht belegte Theorien. Grundsätzlich heißt es, dass das Schwenken des Öls im Mund die Mundschleimhaut anregt, Krankheitserreger und Giftstoffe abzusondern und auszuscheiden. Diese werden im Öl gebunden und durch das Ausspucken des Öls aus dem Körper entfernt – weshalb man das Öl auch keinesfalls schlucken solle.
Durch das Spülen im Mund wird das Öl milchig-weiß. Verfechter*innen des Ölziehens behaupten, dies sei Anzeichen der reinigenden Wirkung des Öls und der darin gelösten Giftstoffe. Tatsächlich emulgiert das Öl aber. Das heißt, die im Speichel enthaltenen Stoffe spalten das Fett im Öl auf, wodurch die milchige Färbung entsteht.
Vorteile von Ölziehen
Der Vorteil von Ölziehen bei der Gesunderhaltung des Mundraums und der Zahnreinigung ist, dass Öl im Gegensatz zu Zahncreme in alle Zahnzwischenräume gelangen kann. Dies wird durch das Schwenken und Ziehen im Mund zusätzlich unterstützt, da das Öl so in alle Lücken gepresst wird. Verstärkt wird dieser Effekt durch die 20-minütige Einwirkzeit des Öls.
Die Anwendung könnte eine massierende und pflegende Wirkung auf das Zahnfleisch und die Mundschleimhaut haben und möglicherweise dazu beitragen, Zahnbelag zu reduzieren.
Nachteile von Ölziehen: Erstverschlimmerungen & Co.
Aber Ölziehen hat auch seine Nachteile: Zuerst einmal ist es für viele nicht die schönste Vorstellung, jeden Morgen auf nüchternen Magen Öl in den Mund zu nehmen. Diese Hemmschwelle muss zunächst überwunden werden, teils kann es zu Übelkeit kommen. Auch Kieferschmerzen können – vor allem bei 20-minütiger Anwendung – auftreten.
Weiterhin kann es zu Nebenwirkungen kommen, wie zum Beispiel Durchfall, Magenverstimmungen oder einer vermehrten Sekretion von Nasen- und Rachenschleim. Grund dafür soll die Entgiftung sein, die den Organismus stärker als gewöhnlich belasten könne.
Durch die Freisetzung von Schadstoffen in der Blutbahn könne es daher auch zu einer Erstverschlimmerung, also einer scheinbaren Verschlechterung von Erkrankungen und Beschwerden kommen. Diese Erstverschlimmerungen sind auch von anderen alternativen Heilverfahren bekannt und gelten als positives Signal des Körpers. Denn sie sollen zeigen anzeigen, dass im Organismus Selbstheilungsprozesse aktiviert wurden, die Krankheitsherde bekämpfen und vermehrt Abbauprodukte verstoffwechseln. Wissenschaftlich belegt ist dieser Effekt allerdings nicht.
Von Nachteil ist der Einsatz des Ölziehens auch dann, wenn stattdessen andere wichtige Maßnahmen für die Gesundheit unterlassen werden, wenn die Methode also beispielsweise das Zähneputzen ersetzt. Wer Amalgamfüllungen hat, sollte zudem vor der Erprobung der Heilmethode zahnärztliche Rücksprache halten.
Darüber hinaus ist eine seltene Nebenwirkung des Ölziehens die sogenannte Lipidpneumonie. Dabei werden versehentlich feinste Öltröpfchen eingeatmet, die eine Lungenentzündung mit Husten und Atembeschwerden zur Folge haben.
Kritik am Ölziehen
Hauptkritikpunkt am Ölziehen ist zweifelsohne die unzureichende wissenschaftliche Erforschung beziehungsweise der mangelnde Nachweis einer gesundheitlich positiven Wirkung des Ölziehens durch Studien oder andere Beweisverfahren.
Wie bereits erwähnt, gibt es zwar einige Studien, welche die Wirkung von Ölziehen auf die Mund- und Zahngesundheit untersucht haben. Doch ist darauf hinzuweisen, dass diese Arbeiten methodische Mängel aufweisen und ihre Ergebnisse daher nicht aussagekräftig genug sind, um eine gesundheitlich positive Wirkung von Ölziehen mit Sicherheit bestätigen zu können.
Auch dass Ölziehen andere Krankheiten und Beschwerden wie Kopfschmerzen, Hautprobleme, Arthrose oder Bronchitis lindern oder gar heilen kann, ist wissenschaftlich weder nachgewiesen noch plausibel erklärbar.
In der Alternativmedizin ist das Verfahren jedoch anerkannt und weit verbreitet. Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten, dass es sich bei der viel beworbenen Wirkung des Ölziehens lediglich um Annahmen und Erfahrungsberichte handelt, die mehr auf jahrhundertelanger Tradition als auf gesicherten Fakten beruhen.