Schlafhormon Melatonin
Das Schlafhormon Melatonin wird oft nahezu als Wundermittel gehandelt: Es soll nicht nur bei Schlafstörungen helfen, sondern aufgrund seiner antioxidativen Wirkung auch positiven Einfluss auf den Alterungsprozess der Zellen sowie auf Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen. Tatsächlich ist die Wirkung von Melatonin bislang aber nur unzureichend erforscht – deswegen darf es in Deutschland lediglich als Schlafmittel verwendet werden und das auch nur in bestimmten Fällen. Auch über mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Melatonin weiß man noch nicht genug. Dennoch gibt es auch Nahrungsergänzungsmittel und Sprays mit Melatonin, deren Nutzen jedoch umstritten ist.
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen – den sogenannten zirkadianen Rhythmus – steuert. Aus diesem Grund wird es auch als Schlafhormon bezeichnet. Neben dem natürlichen Vorkommen im Körper kann das Hormon auch als Medikament gegen Schlafstörungen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus ist es auch in Form von Nahrungsergänzungsmitteln oder Sprays erhältlich – die Anwendung ist jedoch umstritten.
Wirkung von Melatonin im Körper
Melatonin wird in der Zirbeldrüse aus Serotonin hergestellt. Daneben wird es aber auch an anderen Orten im Körper, beispielsweise im Verdauungstrakt, produziert. Für die Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus ist jedoch in erster Linie das Melatonin aus der Zirbeldrüse verantwortlich.
In der Zirbeldrüse wird das Schlafhormon Melatonin nur bei Dunkelheit ausgeschüttet – deswegen werden wir abends müde. Der Melatonin-Spiegel im Blut steigt langsam an und erreicht mitten in der Nacht – etwa zwischen zwei und vier Uhr – seinen Höhepunkt. In den frühen Morgenstunden fällt der Spiegel dann wieder ab, denn durch Licht wird die Produktion gehemmt.
Melatonin reguliert aber nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch viele biologischen Funktionen, die mit diesem in Zusammenhang stehen. Dazu gehören beispielsweise die Nierenfunktion und der Blutdruck. Dass das Hormon nicht nur Auswirkungen auf den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch auf andere körperliche Prozesse haben kann, sollte vor der Einnahme eines Melatonin-Präparates unbedingt beachtet werden.
Störungen des Melatonin-Haushaltes
Schichtarbeit oder eine Zeitverschiebung bei Fernreisen können Störungen im Melatonin-Haushalt hervorrufen. Durch eine zusätzliche Einnahme von Melatonin sollen diese Störungen angeblich behoben werden können: So soll das Hormon dafür sorgen, dass man bei Jetlag-bedingten Schlafstörungen abends schneller einschlafen kann.
Diese Wirkung von Melatonin ist bislang jedoch noch umstritten: Denn während das Hormon sich in einigen Studien positiv auf das Einschlafverhalten auswirkte, zeigte es in anderen Studien keinen Effekt. Oft trat die Wirkung auch erst nach einigen Einnahme-Tagen ein. Positiven Einfluss auf die Wirkung von Melatonin sollen das Überqueren möglichst vieler Zeitzonen sowie West-Ost-Flüge nehmen.
Doch nicht nur bei Jetlag, sondern auch bei Schichtarbeit soll die zusätzliche Einnahme dem Körper dabei helfen, sich wieder an den normalen Tagesablauf zu gewöhnen. Gleiches gilt für blinde Menschen, deren Schlaf-Wach-Rhythmus sich vom Tag-Nacht-Rhythmus abgekoppelt hat.
Melatonin und Depressionen
Veränderungen im Melatonin-Haushalt treten besonders häufig im Winter auf, da der Spiegel des Hormons durch das wenige Tageslicht auch tagsüber erhöht bleibt. Dies kann zu Schlafstörungen, Müdigkeit und Winterdepressionen führen. Eine Einnahme von Melatonin bei Winterdepressionen kann sich aus diesen Grund negativ auswirken.
Um solchen Symptomen vorzubeugen, sollte man das wenige Tageslicht für Spaziergänge nutzen. Denn durch Tageslicht wird die Ausschüttung von Melatonin stärker gehemmt und der Spiegel im Blut sinkt ab. Bei starken Beschwerden sollte man eine Lichttherapie in Betracht ziehen.
Melatonin als Schlafmittel
Je älter wir werden, desto weniger Melatonin produziert unser Körper. Rund um das 70. Lebensjahr ist der Melatonin-Spiegel im Blut nachts schließlich genauso hoch wie am Tag. Diese Tatsache lässt vermuten, dass im Alter auftretende Schlafstörungen mit dem Absinken des Melatonin-Spiegels in Zusammenhang stehen – allerdings muss ein niedriger Melatonin-Spiegel nicht unbedingt mit Schlafstörungen einhergehen.
Aufgrund dieser Zusammenhänge ist für Menschen über 55 Jahren in Deutschland Melatonin als rezeptpflichtiges Schlafmittel zugelassen. Jede Tablette enthält eine Dosis von zwei Milligramm. Die Anwendung erfolgt ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen, nach der letzten Mahlzeit. Die maximale Dosis beträgt zehn Milligramm.
Das Medikament ist für die kurzzeitige Behandlung von Schlafstörungen, die auf eine schlechte Schlafqualität zurückzuführen sind, geeignet (primäre Schlafstörungen), vor allem bei Jetlag. Schlafstörungen, die durch eine Erkrankung oder bestimmte Medikamente hervorgerufen werden, können mit Melatonin dagegen nicht behandelt werden.
Doch auch die Therapie von primären Schlafstörungen ist umstritten, denn bei etwa der Hälfte der Betroffenen zeigt das Schlafmittel keine Wirkung und insbesondere bei jüngeren Menschen wird ein Großteil des Wirkstoffes ohnehin direkt über die Leber abgebaut. Insgesamt gilt Melatonin als Schlafmittel eher wenig geeignet und wird nicht grundsätzlich zur Therapie von Schlafstörungen empfohlen.
Tipp: Wenn Sie unter Schlafstörungen leiden, sollten Sie auf jeden Fall darauf achten, in einem stark abgedunkelten Raum zu schlafen, damit die Zirbeldrüse möglichst lange Melatonin ausschütten kann.
Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin
In den letzten Jahren hat sich Melatonin vor allem in den USA einen Namen als Wundermittel gemacht und ist auch als Nahrungsergänzungsmittel (NEM), etwa in Form von Kapseln oder Tropfen, erhältlich. Das Hormon soll unter anderem die Zellalterung aufhalten, Fett verbrennen, vor Haarausfall schützen und Krankheiten wie Aids, Alzheimer und Krebs vorbeugen beziehungsweise diese sogar heilen können.
In Deutschland ist Melatonin als Medikament eingestuft und deswegen in der Regel nicht in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten. Da die Einordnung jedoch umstritten und rechtlich nicht abschließend geklärt ist, kommen auch in Deutschland immer wieder rezeptfreie Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin auf den Markt. Entsprechende Mittel können zudem über das Internet bestellt werden. Dabei ist als Käufer*in jedoch kaum festzustellen, wie qualitativ hochwertig das angebotene Produkt ist und welche Risiken seine Einnahme birgt. Deswegen ist von dem Kauf von Melatonin über das Internet dringend abzuraten.
Melatonin-Spray zum Einschlafen
Auch Sprays mit Melatonin sind im Handel erhältlich, oft kann man sie in der Apotheke oder Drogerie kaufen. Dabei handelt es sich meist um Sprays, die in den Mund gesprüht werden, um über die Mundschleimhaut aufgenommen zu werden. Es gibt aber auch Einschlafsprays in Form von Nasenspray.
Sie sind jedoch nicht als Arzneimittel zugelassen, es gibt daher keine ausreichenden Erkenntnisse über Wirkungen und Nebenwirkungen. Eine Verbesserung der Schlafqualität durch Melatonin-Spray ist belang nicht belegt. Bei der Anwendung ist besonders auf die richtige Dosierung zu achten, um eine Überdosierung zu vermeiden.
Antioxidative Wirkung
Dass Melatonin im Körper eine antioxidative Wirkung hat, gilt mittlerweile als wissenschaftlich gesichert: Das Hormon fängt freie Radikale, die die Zellen schädigen, ab und zerstört diese. Da es im Gegensatz zu vielen anderen Antioxidantien sowohl fett- als auch wasserlöslich ist, bietet das Hormon einen guten Rundumschutz vor freien Radikalen.
Die antioxidative Wirkung des Hormons lässt vermuten, dass der Alterungsprozess der Zellen mit der im Alter zurückgehenden Melatonin-Ausschüttung in Zusammenhang steht. Ob dies tatsächlich der Fall ist und ob die geringere Melatonin-Konzentration eine Folge oder Ursache des Alterns ist, ist aber noch nicht geklärt. Ebenso ist ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Melatonin und einer Verlangsamung des Alterungsprozesses wissenschaftlich nicht belegt.
Schützende Wirkung von Melatonin ist umstritten
Aufgrund der antioxidativen Eigenschaften wird dem Hormon nicht nur eine mögliche Verlangsamung des Alterungsprozesses zugeschrieben, sondern auch eine positive Wirkung auf die Vorbeugung und Bekämpfung von Krebserkrankungen sowie die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ob Melatonin solchen Erkrankungen tatsächlich vorbeugen kann, ist derzeit wissenschaftlich noch nicht belegt.
Der Einfluss von Melatonin auf Krebserkrankungen wurde bereits in einer Reihe von Studien untersucht – allerdings mit widersprüchlichen Ergebnissen. Während das Hormon beispielsweise in einigen Tests gesunde Zellen vor einer Schädigung durch eine Chemotherapie bewahrte, schützte das Hormon in einer anderen Studie auch die Krebszellen vor dem Absterben. Fachleuten zufolge gibt es für Krebspatient*innen deshalb derzeit keinen Grund, entsprechende Präparate einzunehmen.
Nebenwirkungen von Melatonin
Kurzzeitig – also über einen Zeitraum von maximal zwei bis drei Monaten eingenommen – weist Melatonin eher geringe Nebenwirkungen auf. Bislang wurden Symptome wie Schläfrigkeit, Stimmungsschwankungen und Unkonzentriertheit beobachtet, aber auch Schmerzen in der Brust, Schwindel, Sodbrennen, Mundtrockenheit, Magen- oder Kopfschmerzen können auftreten. Auch der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus kann durch die Einnahme von Melatonin gestört werden. Darüber hinaus sind nächtliche Schweißausbrüche und bei Frauen Hitzewallungen wie in den Wechseljahren möglich.
Bei einer bis zehn von 1.000 Personen kann es zu einer Erhöhung des Blutdrucks oder Herzrhythmusstörungen kommen. Bei bestehendem Bluthochdruck oder Herzerkrankungen werden daher regelmäßige Kontrollen empfohlen. Allergische Hautreaktionen sollten sofort ärztlich abgeklärt werden.
Im Gegensatz zu einer kurzzeitigen Gabe sind die Risiken und Nebenwirkungen einer Langzeiteinnahme derzeit noch gänzlich unerforscht. Nach aktuellem Wissensstand kann Melatonin nicht abhängig machen.
Gegenanzeigen und Wechselwirkungen
Während der Schwangerschaft und der Stillzeit sowie bei schweren Allergien sollte aus Sicherheitsgründen auf die Einnahme von Melatonin verzichtet werden. Bei Beeinträchtigungen von Leber und Nieren oder bei Autoimmunerkrankungen sollten Nutzen und Risiken gründlich abgewogen werden.
Wird das Hormon gemeinsam mit Antiepileptika, Antidepressiva (SSRIs) und Antithrombosemitteln eingenommen, kann es möglicherweise zu Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Medikamenten kommen. Insbesondere bei dem Antibiotikum Ciprofloxacin und dem Antidepressivum Fluvoxamin ist Vorsicht geboten, da diese Medikamente den Abbau von Melatonin hemmen. Bei anderen Arzneien kann Melatonin die Wirkung und Nebenwirkungen verstärken, zum Beispiel bei Benzodiazepinen, Zopiclon, Imipramin und anderen Mitteln gegen Schlafstörungen oder Depressionen. Alkohol kann die Wirkung zudem beeinträchtigen.