Frankreichs Kabinett berät über umstrittenes Sterbehilfe-Gesetz
Frankreich unternimmt einen neuen Anlauf zur gesetzlichen Regelung von Sterbehilfe. Das Kabinett beriet am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzesvorschlag. Beihilfe zur Selbsttötung soll demnach unter strengen Auflagen erlaubt werden. Die Ausdrücke "Sterbehilfe" und "assistierter Suizid" kommen in dem Text nicht vor. Pflegeverbände und die französische Bischofskonferenz kritisieren das Vorhaben scharf. Es dürfte die bedeutendste gesellschaftliche Reform der zweiten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron werden.
Der Text soll Ende Mai in der Nationalversammlung debattiert werden. Mit einer Verabschiedung wird nicht vor 2025 gerechnet. Eine Kommission soll in Kürze einen Zeitplan vorlegen.
Unheilbar kranke Erwachsene, deren Leid im Endstadium der Krankheit nicht mehr gelindert werden kann, sollen künftig "um Hilfe beim Sterben bitten können", so formulierte Macron es, als er im März die groben Linien des Gesetzes vorstellte. Es sei ein "Gesetz der Brüderlichkeit", das die Wahl des geringeren Übels ermögliche, "wenn der Tod schon da ist", fügte er hinzu.
"Es ist kein neues Recht, es ist auch keine Freiheit", sagte Gesundheitsministerin Catherine Vautrin am Mittwoch. Das Gesetz sei vielmehr "eine ethische Antwort auf die Bedürfnisse der Kranken, begleitet zu werden", fügte sie hinzu.
Eine entscheidende Voraussetzung ist nach dem Gesetzesvorschlag die volle Urteilsfähigkeit des Betroffenen: Minderjährige und Patienten mit psychischen Erkrankungen oder etwa Alzheimer sollen keine Sterbehilfe in Anspruch nehmen können.
Die Lebenserwartung der Patienten solle bei höchstens sechs bis zwölf Monaten liegen, erläuterte die Gesundheitsministerin. Die Entscheidung treffe ein Arzt allein, nachdem er sich zuvor mit anderen beraten habe. Für die Entscheidung habe er zwei Wochen Zeit. Eine Gewissensklausel soll es Ärzten ermöglichen, eine solche Entscheidung nicht treffen zu müssen.
Wenn alle Auflagen erfüllt sind, kann der Arzt nach dem Gesetzesvorschlag dem Sterbewilligen ein zum Tod führendes Medikament verordnen. Dies kann der Patient in Anwesenheit eines Arztes selber einnehmen. Falls er körperlich dazu nicht in der Lage ist, kann ihm ein Arzt oder eine ihm nahestehende Person dabei helfen.
Die Vereinigung für würdevolles Sterben begrüßte das Gesetzesvorhaben als einen "ersten Schritt zu einem neuen Recht".
Die Bischofskonferenz, die der Regierung wegen ihrer Sprachregelung "Augenwischerei" vorgeworfen hatte, ernannte vier Bischöfe, die die Position der katholischen Kirche zum dem Thema in der öffentlichen Debatte vertreten sollen. "Manche ältere Menschen haben solche Angst, anderen zur Last zu fallen, dass sie sich am Ende sagen könnten: Das ist vielleicht die Lösung", sagte Bischof Emmanuel Gobilliard.
Auch Pflegeverbände äußerten sich kritisch. Die Vorstellungen des Präsidenten seien "weit von den Bedürfnissen der Patienten und dem Alltag des Pflegepersonals entfernt", betonten mehrere Pflegeverbände. Sie fordern die Verbesserung der Palliativmedizin, die unheilbar Kranke in der Endphase begleitet und versucht, ihre Schmerzen zu lindern.
In Frankreich sterben nach Angaben des Verbands für Palliativpflege täglich 500 Menschen, die keinen Zugang zu Palliativmedizin haben, obwohl sie dies bräuchten. Das neue Gesetz sieht vor, das jährliche Budget für Palliativmedizin innerhalb von zehn Jahren von derzeit 1,6 Milliarden Euro auf 2,7 Milliarden Euro zu erhöhen.
In Frankreich ist aktive Sterbehilfe bisher verboten. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden die gesetzlichen Regelungen mehrfach überarbeitet. Seit 2002 haben Patienten das Recht, eine Behandlung abzulehnen. 2005 wurde festgelegt, dass Ärzte einen unheilbar kranken Patienten sterben lassen dürfen, indem sie auf Wunsch des Kranken eine lebensverlängernde Behandlung einstellen.
Dieses Gesetz wurde 2016 zuletzt ergänzt. Seitdem dürfen Ärzte unheilbar Kranken im Endstadium stark schmerzlindernde Medikamente verabreichen, welche das Sterben beschleunigen können. Ein Gesetzesvorschlag, der aktive Sterbehilfe ermöglichen sollte, wurde zuletzt 2021 abgelehnt.