AFP-News-Bild

Ist Fettleibigkeit eine Krankheit? Experten werben für Einführung neuer Kategorien

Quelle: Agence-France-Presse
Letzte Aktualisierung: 15.01.2025 - 14:19 Uhr

Leiden Menschen mit Fettleibigkeit an einer Krankheit? Eine Gruppe internationaler Gesundheitsexperten hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt und kommt in einem am Mittwoch in der Fachzeitschrift "The Lancet Diabetes & Endocrinology" erschienenen Artikel zu dem Ergebnis: Es kommt darauf an. Um eine Diskriminierung der weltweit mehr als eine Milliarde Betroffenen zu vermeiden und Fettleibigkeit gleichzeitig als Gesundheitsproblem benennen zu können, raten die Spezialisten dazu, den Begriff neu zu definieren.

"Die Vorstellung von Fettleibigkeit als Krankheit steht im Mittelpunkt einer der kontroversesten und am meisten polarisierenden Debatten in der modernen Medizin", heißt es in dem Papier der 56-köpfigen Expertenkommission. Nach jahrelangen Debatten wirbt sie nun für einen Mittelweg und schlägt zwei neue Kategorien vor - die der "klinischen" und der "präklinischen Fettleibigkeit".

Die Ausgangslage ist komplex: Einerseits führt Fettleibigkeit - auch Adipositas genannt - zu einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen, einige Krebsarten und andere Gesundheitsprobleme und wird daher von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "chronisch-komplexe Krankheit" eingestuft. Auch einige Ärzte und Patienten kämpfen dafür, Fettleibigkeit als Krankheit zu aufzufassen, um ihr damit die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen. 

Auf der anderen Seite gelten auch Menschen als fettleibig, die im Alltag nur wenige oder gar keine gesundheitlichen Probleme haben und ein aktives und gesundes Leben führen können. Sie sollen nach Ansicht von Aktivisten nicht als "krank" gelten.

Die Experten schlagen nun vor, von einer "klinischen Fettleibigkeit" zu sprechen und diese als Krankheit zu benennen, wenn die Organfunktionen des Betroffenen beeinträchtigt sind. Kriterien für eine Diagnose wären etwa Probleme an Herz, Leber oder Lunge, ein hoher Cholesterinspiegel, Schlafapnoe sowie Schmerzen in Hüfte, Knien oder Füßen - kurz: Probleme, die das tägliche Leben der Menschen beeinträchtigen. 

Dagegen schlagen die Experten für fettleibige Menschen ohne derartigen Probleme die Definition "präklinische Adipositas" vor, die zwar überwacht, aber nicht medizinisch behandelt werden soll.

Weiter empfiehlt die Kommission, für eine Diagnose von Fettleibigkeit über den Body-Mass-Index (BMI), also das Verhältnis von Gewicht zu Größe, hinauszugehen und etwa auch den Taillenumfang oder sogar die Knochendichte hinzuzuziehen.  

Tom Sanders, emeritierter Professor für Ernährung und Diätetik am King's College London, sagte, eine offizielle Anerkennung der klinischen Adipositas könne "den Gesetzgeber hoffentlich davon überzeugen, sie als Behinderung zu betrachten". Dies habe sowohl Auswirkungen auf die Diskriminierung, insbesondere in der Arbeitswelt, als auch "auf das soziale Stigma, das mit dieser Krankheit verbunden ist".

Die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) begrüßte den Vorschlag der Experten. "Ich hoffe, dass die Arbeit der Kommission dazu führen wird, die Diskussion zur Prävention und Verbesserung der Therapie der Adipositas intensiver zu führen", erklärte DAG-Mediensprecher Matthias Blüher. Laut DAG-Präsident Matthias Laudes kann der Vorschlag insbesondere dabei helfen, "weiterführende therapeutische Maßnahmen beim Versagen multimodaler Basistherapien personalisiert einzusetzen, was sowohl betroffenen Menschen zu Gute kommt, als auch den Ressourcen im deutschen Gesundheitswesen gerecht wird".