Frau mit Esssucht (Binge Eating Disorder) beißt in Burger
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Binge Eating Disorder (Esssucht)

Von: Gesundheit-Redaktion
Letzte Aktualisierung: 06.07.2012

Binge Eating Disorder ist eine durch Essattacken gekennzeichnete Essstörung. Während eines Anfalls werden grosse Mengen Lebensmittel gegessen. Die Betroffenen erleben dabei häufig Kontrollverlust (das Gefühl, nicht mehr mit dem Essen aufhören zu können oder nicht im Griff zu haben, welche Mengen verspeist werden). Die Essattacken finden typischerweise unter Ausschluss von Zeugen statt.

Binge Eating Disorder

Es wird meist schnell, ohne Hungergefühl und wahllos gegessen und dabei in kurzer Zeit eine weitaus grössere Menge an Nahrungsmitteln verzehrt, als Gesunde unter ähnlichen Bedingungen zu sich nehmen würden. Anschliessend treten oft Schuld- und Schamgefühle sowie niedergeschlagene Stimmungen auf. Binge Eating unterscheidet sich von der Bulimie durch das Fehlen des für letztere typischen Kompensationsverhaltens (beispielsweise selbsthergeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführ- und/oder Entwässerungsmitteln) nach dem Essanfall.

Etwa zwei Prozent der Bevölkerung sind von Binge Eating betroffen. Die meisten Menschen mit dieser Essstörung sind übergewichtig. Binge Eating kann aber auch bei Normalgewichtigen auftreten. Zirka zwanzig bis vierzig Prozent der mässig bis stark fettleibigen Personen, die wegen Übergewicht einen Therapeuten aufsuchen, leiden an einer Binge Eating Störung.

Binge Eating tritt etwas häufiger bei Frauen als bei Männern auf (Verhältnis ungefähr 3:2). Übergewichtige mit einer Binge Eating Störung sind oft früher (bereits im Kindesalter) übergewichtig als «normale» Adipöse. Sie durchleben zudem meist mehr Phasen der Gewichtszu- und -abnahme (Jo-Jo-Effekt).

Binge Eating: Ursachen

Die Ursachen des Binge Eating sind bis anhin noch unklar. Etwa die Hälfte der Betroffenen hat irgendwann im Leben unter einer Depression gelitten. Es ist jedoch unklar, ob die Depression Ursache oder Folge der Essstörung ist. Es muss auch nicht zwangsläufig ein Zusammenhang bestehen. Viele Betroffene berichten, dass Gefühle von Angst, Traurigkeit, Wut, Langeweile oder andere negative Empfindungen einen Essanfall auslösen.

Der Effekt des Diäthaltens auf die Entstehung einer Binge Eating Störung ist ebenfalls noch unklar. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass wiederholte strikte Diäten (rigide Kontrolle) Essanfälle auslösen können. Allerdings leidet etwa die Hälfte der Betroffenen bereits unter Binge Eating, bevor sie mit Diäten anfängt.

Binge Eating: Symptome und Anzeichen

Viele Menschen überessen sich manchmal, und viele haben immer wieder den Eindruck, dass sie mehr zu sich genommen haben, als sie eigentlich sollten. Das alleinige Essen grosser Mengen an Nahrungsmitteln heisst aber noch nicht, dass jemand auch unter einer Binge Eating Störung leidet. Folgende Anzeichen gehören zur Binge Eating Störung:

  • Regelmässige Episoden von Essanfällen, bei denen in kurzer Zeit eine weitaus grössere Menge an Nahrungsmitteln verzehrt wird, als andere Menschen unter ähnlichen Bedingungen essen würden.
  • Während den Essanfällen häufig das Gefühl des Kontrollverlusts (unfähig zu kontrollieren, was oder wie viel gegessen wird).
  • Mehrere der folgenden Verhaltensweisen oder Gefühle: Deutlich schneller essen als gewöhnlich. Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl. Einnahme von grossen Mengen an Nahrungsmitteln, obwohl kein physiologischer Hunger vorliegt. Alleine Essen, aus Scham über die zu sich genommenen Mengen. Nach dem übermässigen Essen Ekel gegen sich selbst, Niedergeschlagenheit und/oder Schuldgefühle.

Essanfälle treten auch bei Bulimie auf. Im Unterschied zu Menschen, die an Binge Eating leiden, zeigen BulimikerInnen Purging-Verhalten, fasten oder betreiben übermässig viel Sport. Diese Verhaltensweisen sind «Gegenmassnahmen» zur erhöhten Kalorienzufuhr und sollen einer Gewichtszunahme entgegenwirken. Solche Gegenmassnahmen fehlen beim Binge Eating.

Binge Eating: Folgen und Komplikationen

Die hauptsächlichen körperlichen Komplikationen sind Folgeerkrankungen der Adipositas: Diabetes mellitus Typ II, Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen und Dyslipidämie. Binge Eating kann auch seelische Komplikationen erzeugen. Betroffene sind durch die Erkrankung sehr belastet. Viele haben bereits selbständig versucht, die Essanfälle zu reduzieren, was oft nur kurzfristig gelungen ist.

Die Belastung und das Leiden aufgrund der Essstörung kann dazu führen, dass die Betroffenen ihrer Arbeit oder ihren sozialen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Übergewichtige mit Binge Eating Störung fühlen sich oft schlecht aufgrund ihres Essverhaltens, sind übermässig mit ihrem Gewicht und ihrer Figur beschäftigt und meiden soziale Kontakte. Dieser Rückzug kann bis zur Isolation führen. Die meisten schämen sich und versuchen, ihre Störung vor anderen Menschen zu verstecken.

Binge Eating: Therapie und Behandlung

Personen mit Binge Eating Disorder, die nicht oder nur moderat übergewichtig sind, sollten Abmagerungskuren vermeiden, da strenges Diät Halten die Essstörung noch verstärken kann. Viele sind jedoch deutlich übergewichtig und leiden unter körperlichen Folgeerkrankungen. Für diese Menschen sind Abnehmen und Gewichtsstabilisierung ein wichtiges Behandlungsziel. Für die meisten Personen - unabhängig davon, ob sie Gewicht abnehmen wollen oder nicht - ist eine spezifisch auf ihre Essstörung gerichtete Behandlung zu empfehlen. Eine allfällige Gewichtsabnahme kann nach der Behandlung der Essstörung durchgeführt werden.

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass es für Menschen mit Binge Eating schwieriger ist, in einem Gewichtsreduktionsprogramm zu bleiben, als für Übergewichtige ohne diese Essstörung. Sie nehmen tendenziell auch schneller wieder zu, wenn nicht zuerst das Binge Eating behandelt wird. Daher sollte die Essstörung spezifisch behandelt werden, bevor eine Gewichtsabnahme angestrebt wird.

Verschiedene Ansätze bei der Behandlung

Zur Behandlung gibt es verschiedene Ansätze. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kognitive Verhaltenstherapie und die Interpersonale Therapie zur Reduktion der Essattacken führen können. In einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung lernen die Betroffenen Techniken und Strategien zur Beobachtung und Veränderung ihres Essverhaltens und sie lernen, wie sie auf schwierige Situationen reagieren können (alternativ zu einem Essanfall).

In der Interpersonalen Therapie stehen die aktuellen zwischenmenschlichen (interpersonalen) Beziehungen im Vordergrund, ohne dass spezifisch auf das Essverhalten eingegangen wird. Eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva kann ebenfalls hilfreich sein und eine Abnahme der Essattacken bewirken. Medikamente sind aber in alleiniger Anwendung weniger wirkungsvoll, als die psychotherapeutischen Ansätze. Sie sollten nur in Kombination angewendet werden.

Vorbeugende Massnahmen

Vermeiden rigider Diäten: Das Angebot an Diäten nimmt kontinuierlich zu. Viele scheinen ganz logisch zu sein; es ist verständlich, dass übergewichtige Personen gewillt sind, entsprechende Diäten zu machen. Viele der Hungerkuren wirken aber nicht auf längere Sicht. Ihre Schwäche ist, dass sie den Set-Point, emotionale Reaktionen auf Diäten, individuelle Unterschiede im Normalgewicht und die Unvernunft des Schlankheitsideals nicht in Betracht ziehen.

Rigide Diäten, die auf der Basis einer unausgewogenen Ernährung in kurzer Zeit eine relativ hohe Gewichtsabnahme bewirken, stellen ein Gesundheitsrisiko dar. Essanfälle können eine direkte Folge von Hunger sein. Je mehr versucht wird die Nahrungsaufnahme zu beschränken, desto stärker wird die Tendenz zu Essattacken. Oft wird der Fehler begannen, nach einem Essanfall eine Mahlzeit (im Sinne der Wiedergutmachung) auszulassen. Dadurch wird automatisch der nächste Kontrollverlust vorprogrammiert. Vergleichen Sie dazu flexible Kontrolle des Essverhaltens.

Personen mit Binge Eating Disorder, die nicht oder nur moderat übergewichtig sind, sollten es vermeiden Diät zu halten, da strenges Diät halten die Essstörung noch verstärken kann. Viele Menschen mit Binge Eating Disorder sind aber gleichzeitig deutlich übergewichtig und leiden unter dessen körperlichen Folgen. Für sie ist eine Gewichtsabnahme und anschliessende -stabilisierung mitunter ein wichtiges Behandlungsziel. Die Gewichtsreduktion kann der spezifischen Behandlung der Essstörung nachgeschaltet werden.

Anerkennen des Übergewichts: Die Set-Point-Theorie beschreibt, dass alle Menschen ein Normalgewicht haben. Dieses wird durch eine Kombination von genetischen und ernährungsspezifischen Faktoren bestimmt. Das Set-Point-Gewicht wird durch das Zusammenspiel einer Vielzahl biologischer Faktoren aufrechterhalten. Diese Faktoren bewirken, dass es der jeweiligen Person nur innerhalb einer begrenzten Gewichtsspanne möglich ist, sich wohl zu fühlen und funktionsfähig zu sein.

In der Literatur gibt es viele Hinweise dafür, dass Übergewicht nicht das Resultat mangelnder Willenskraft ist, sondern für manche genetisch vorgegeben ist. Dies bedeutet nicht, dass das Übergewicht als solches unveränderbar ist: Aufgrund von Veränderungen des Ess- und Ernährungsverhaltens sowie des Lebensstils ist eine Reduktion des Gewichts möglich. Der Spielraum, innerhalb dessen dies möglich ist, erscheint begrenzt.