Impfstofftherapie bei Augenkrebs: Gericht verpflichtet Krankenkasse zur Zahlung
Das Sozialgericht im niedersächsischen Braunschweig hat eine gesetzliche Krankenkasse zur Erstattung einer mehr als 50.000 Euro teuren sogenannten Vakzinationstherapie mit dendritischen Immunzellen bei einem Augenkrebstumor verurteilt. Im vorliegenden Streitfall greife eine Ausnahmeregelung im Sozialgesetzbuch, erklärte das Gericht am Donnerstag. Demnach müssten Kassen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen auch nicht allgemein anerkannte Therapien bei einer "nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung" übernehmen. (Az. S 6 KR 109/20)
Nach Gerichtsangaben ging es um eine an einem Aderhautmelanom im linken Auge erkrankten Frau. Bei dieser Tumorart besteht in bestimmten Fällen ein großes Risiko der Metastasenstreuung samt hoher Sterblichkeit binnen drei bis fünf Jahren. Allgemein anerkannte onkologische Therapien gemäß medizinischen Standards im Kampf gegen diese Krebsvariante gibt es nicht.
Daher nahm die Klägerin an einer vom Deutschen Krebsstiftung finanzierten Studie von Universitätskliniken in Hamburg und Erlangen zu einem neuen Ansatz teil. Dabei wird ein Impfstoff aus körpereigenen dendritischen Immunzellen von Patientinnen und Patienten gewonnen und verabreicht.
Ihre Teilnahme an der Studie endete aber nach drei Impfungen, weil bei ihr nicht mehr genügend weiße Blutkörperchen zur Bildung von weiteren dendritischen Immunzellen gewonnen werden konnten. Daraufhin beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für die noch ausstehenden weiteren Impfungen, was diese aber ablehnte. Es sei keine Kassenleistung, und die Datenbasis können einen möglichen Erfolg nicht genügend begründen.
Mit ihrer Klage gegen die Entscheidung ihrer Kasse hatte die Frau vor dem Sozialgericht allerdings Erfolg. Laut augenärztlichem Gutachten seien die Voraussetzungen einer Ausnahmeregelung für nicht zugelassene Therapien bei lebensbedrohlichen Erkrankungen erfüllt, entschieden die Richterinnen und Richter mit ihrem nun veröffentlichten Urteil vom Januar. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Das Gericht verwies auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012, das diese Voraussetzungen neu definiert hatte. Demnach folgt aus grundgesetzlichen Vorgaben wie der Achtung der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip, dass Krankenkassen auch nicht allgemein anerkannte Behandlungen bezahlen müssen, "wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht". Dies sei im vorliegenden Streitfall gegeben.
Das Gericht verwies auf entsprechende erste positive Ergebnisse der vom Krebszentrum finanzierten Studie. Vor allem aber werde eine Aussicht auf Heilung von der Krankengeschichte der Klägerin selbst unterstrichen, bei der einen Krebsstreuung seit vier Jahren ausgeblieben sei. Die Kasse müsse die Behandlungskosten von mehr als 50.000 Euro deshalb erstatten.